Viel Stoff zum Nachdenken

Berlin · Im Rennen um den Goldenen Bären lief am Wochenende der einzige deutsche Beitrag: „24 Wochen“, ein Abtreibungsdrama mit Julia Jentsch. Viel Diskussionsstoff bot auch eine erschütternde Doku über Flüchtlinge auf Lampedusa.

Wer Zweifel an deutscher Comedy-Fähigkeit hat, fühlte sich nur bestätigt. Am Anfang von Anne Zohra Berracheds Wettbewerbsfilm "24 Wochen" steht Julia Jentsch kurz als erfolgreiche Stand-Up-Komikerin im Fernsehstudio und versucht sich an ein paar lausigen Pointen. "Wie grausam", denkt man sich - ganz zu schweigen davon, dass man ihr diesen Teil der Rolle nicht wirklich abnehmen will. Doch es geht ja glücklicherweise um etwas ganz anderes als deutsche Komik. Denn Jentsch und Bjarne Mädel spielen im einzigen deutschen Bärenkandidaten dieses Jahrgangs ein Paar, das sein zweites Kind erwartet. Als die beiden aber die Diagnose bekommen, dass es das Down-Syndrom und einen schweren Herzfehler haben wird, stehen sie vor einer schwierigen Entscheidung: Soll das Kind im sechsten Monat noch abgetrieben werden?

"Ich wollte mich auf den Entscheidungskonflikt eines Paares konzentrieren", sagte die Regisseurin in Berlin, die sich hier nach ihrem Debüt "Zwei Mütter" mit einer anderen Facette zum Thema "Mutterschaft" beschäftigt und ohne Vorverurteilung ihrer Hauptfigur zentrale Fragestellungen aufwirft. Dabei überrascht Mädel, der vor allem mit komischen Rollen in "Stromberg" und "Der Tatortreiniger" bekannt wurde, mit der Ernsthaftigkeit, mit der er seine Rolle spielt. Julia Jentschs Spiel entwickelt vor allem in den letzten Szenen eine Intensität, in denen die Abtreibung so ruhig wie eindringlich genau gezeigt wird. "Selber schwanger gewesen zu sein und ein Kind zur Welt gebracht zu haben, hat in einigen Szenen sehr geholfen", erklärte die Schauspielerin. Ob sie nach ihrer Rolle als junge Widerstandkämpferin in "Sophie Scholl" nach elf Jahren wieder mit dem Silbernen Bären für die beste Darstellerin ausgezeichnet wird? Obwohl die ästhetischen und dramaturgischen Entscheidungen der Filmemacherin nicht durchweg überzeugen, hallen die aufgeworfenen Fragen von "24 Wochen" auf jeden Fall nach. Der Film sorgt so für Diskussionen im Wettbewerb, der dieses Jahr auffällig häufig um Neustarts im Leben und wichtige Zukunftsentscheidungen kreist.

So wie "Midnight Special" von Jeff Nichols, der die Zuschauer mitten hinein in die Entführung eines kleinen Jungen schleudert - denkt man zumindest zu Beginn. Doch die Entführer sind die Eltern (Michael Shannon und Kirsten Dunst) und der schmächtige Sohn hat geheimnisvolle Kräfte: Eine Sekte sieht in ihm daher offenbar den neuen Erlöser. Der Geheimdienst hingegen hält ihn für eine gefährliche Waffe. Was aber steckt wirklich dahinter? Das macht der US-Regisseur, der zuvor starke Filme wie "Take Shelter" gedreht hat, bis zum eindrucksvollen Finale nicht eindeutig klar. Ein Verfolgungs-Roadmovie trifft hier auf Science Fiction, Anspielungen auf John-Carpenter-Filme aus den 70ern auf "E.T.". "Midnight Special", ein früher Höhepunkt im Wettbewerb.

Als erster von zwei Dokumentarfilmen ging am Samstag "Fuocoammare" von Gianfranco Rosi ins Rennen. Der Film greift das Drama der Flüchtlingskrise auf. Nachdem der italienische Filmemacher mit seiner Doku "Sacro Gra" über den römischen Autobahnring 2013 den Goldenen Löwen in Venedig gewann, gilt er als ein Liebling der Kritiker. Jetzt hat er auf und vor Lampedusa gedreht, wo Tausende Bootsflüchtlinge ankommen. Gegen die Bilder, Gesichter und den Ausnahmezustand der Flucht, wird hier der Alltag einer Fischerfamilie gesetzt, der von all diesen Ereignissen seltsam unberührt scheint. Anlässlich der Präsentation des Films in Berlin sagte Rosi: "Mir geht es darum, eine Tragödie zu zeigen, die sich vor unser aller Augen abspielt. Wir tragen alle die Verantwortung dafür. Ich denke, was dort passiert, ist nach dem Holocaust eine der größten Tragödien der Menschheit."

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