Verständigung ist der beste Zement

An der Saarbrücker Uni beginnt heute eine dreitägige kulturwissenschaftliche Tagung, die den Titel trägt: „Heimat zwischen Kitsch und Utopie“. Zu den Referenten gehört Hans-Georg Lippert, der an der TU Dresden eine Professur für Baugeschichte innehat. SZ-Redakteur Christoph Schreiner hat vor der Saarbrücker Tagung (siehe Info) mit Lippert gesprochen.

Seneca sagte: "Einem Schiff ohne Hafen ist kein Wind der richtige." Brauchen wir eine Heimat?

Lippert: Im Prinzip ja. Wobei der Hafen auch ein geistiger oder sozialer sein kann. Dass der einzelne Heimat in sich findet und sich selbst als Ruhepunkt definiert, ist für die meisten Menschen etwas, das sie überfordert.

Lässt sich Heimat auch als Form einer Identifizierung mit Mentalitäten und Sprachräumen verstehen? Oder auch generell als Verbundenheit mit Menschen, mit denen man entweder eine gemeinsame Vergangenheit teilt oder die ähnliche Zukunftspläne haben?

Lippert: Ja. Es gibt einen wunderbaren Satz von Gottfried Herder aus dem späten 18. Jahrhundert. "Heimat ist da, wo ich mich nicht erklären muss." Sprich da, wo also eine gewisse Selbstverständlichkeit und Vertrautheit vorhanden ist.

Sehen Sie Bezüge zwischen dem, was sich insoweit Heimat nennen ließe, und der Bauhistorie?

Lippert: Erinnerungen oder auch Zukunftsentwürfe zu teilen, hieße für Architektur, dass sie einen Fundus an gemeinsamen Bildern hat oder liefert. Sprich eine gebaute Umgebung, die Verbindendes stiftet.

Gibt es jenseits dessen, was man regionale und insoweit identitätsstiftende Baustile nennen könnte, weitere bauliche Repräsentationen dessen, was mit Heimat gemeinhin verbunden wird?

Lippert: Es muss nicht in diese Richtung gehen. Es genügen da auch vergleichbare Atmosphären. Denken Sie an die berühmte "Kreuzberger Mischung" in Berlin, wo ein gründerzeitlich geprägter Stadtteil auf eine Alternativkultur trifft. So etwas gibt es in ähnlicher Form, basierend auf der Großstadtentwicklung im 19. Jahrhundert, auch in anderen Städten. Dieses zeitigt dann ein Muster aus Gründerzeitstil und Lebensform, in dem sich Leute wiederfinden.

Sie werden in Ihrem Saarbrücker Vortrag als Parameter für Heimatempfindungen den Wunsch nach Stabilität, Zufriedenheit, nach Harmonie erwähnen. Was bedeutet das für Orts- und Stadtplanung heute, wenn man Heimatorte kreieren will?

Lippert: Wenn man nicht auf sentimentale Weise an einem verloren gegangenen Paradies festhalten will, sieht das etwa so aus, wie ich es in meinem Vortrag am Beispiel Freitals zeigen werde: Freital bei Dresden verstand sich in den 20ern als sozialdemokratische Musterkommune. Man hatte dort den höchsten Anteil an SPD-Wählern im gesamten Deutschen Reich. Damals plante die Stadt eine Art Wohlfahrtsgemeinde mit entsprechender Symbolik. Man beauftragte einen Dresdner Architekten, der ein Zentrum entwarf, das auf die monumentale Ausgestaltung einer sozialdemokratischen Stadtidee hinauslief mit Volkshaus, Gebäuden für Sozialfürsorge et cetera.

Das Gegenbild zum Prinzip der Musterstadt ist in gewisser Weise im Zeichen der heutigen Globalisierungskritik die Wiederentdeckung des Landlebens. Teilweise verbunden mit Gemeinschaftsideen im Sinne Rousseaus. Sehen Sie da einen Zusammenhang?

Lippert: Es gibt heute eine Tendenz zum Landleben, teils verbunden mit gemeinschaftsstiftenden Ideen. In Vorpommern gibt es eine ganze Szene in diesem Rousseau'schen Sinn. Vorherrschender aber sind häufiger äußerliche Motive: Man kultiviert im Zeichen von Großstadtkritik den Rückzug aufs Land, behält aber die Stadt als Basis.

Worin besteht aus Ihrer Sicht dann der Zusammenhang von Heimat und Architektur? Im Gemeinschaft Stiftenden?

Lippert: Er besteht im Gefühl von Vertrautheit. Dass die Umwelt sich mit meinen Vorstellungen und Erwartungen deckt.

Was heißt das für eine künftige Architektur im Sinne von Gemeinschaftsstiftung?

Lippert: Plätze zu schaffen, die öffentlichen Charakter haben und die Möglichkeit bieten, dass die Nutzer dieser Räume sich einbringen können, sie also nicht nur planerisch etwas vorgesetzt bekommen. Partizipation ist wichtig.

Wenn man im Saarland durch kleinere Ortschaften fährt, fällt auf, dass es fast keine öffentlichen Räume gibt. Ist dieser Mangel an öffentlichen Räumen jenseits finanzieller Ursachen Ausdruck sozialer Gleichgültigkeit, fehlenden Gemeinsinnes?

Lippert: In Dörfern bestand traditionell hierfür wenig Bedarf. Das Dorf findet seine Gemeinschaftsorte woanders, etwa im Wirtshaus. Plätze und Parks sind eher mit urbanen Strukturen verbunden. Hinzu kommt, dass die heutige Planung in ländlichen Räumen technokratisch orientiert ist und weiche, atmosphärische Dinge und Gemeinsinnfragen vernachlässigt.

Ist der Verlust von homogenen Strukturen in den heutigen Ortsbildern eine typische Erscheinungsform der Moderne?

Lippert: Ja, der Verlust des großen Ganzen zeugt davon. Die Postmoderne deutete das positiv als Vielfalt der Erscheinungen.

Baulich führt das oftmals zur völligen Beliebigkeit. Ist das ästhetische Sich-Austoben privater Bauherren heute gewissermaßen das Pflegen und Ausstellen einer umzäunten Privatheimat?

Lippert: Das ist die Gefahr dabei. Man hat heute viele nebeneinander stehende Heimaten. Wollte man dies verhindern, wären Gestaltungssatzungen ein Weg. Planerische Vorgaben aber werden schnell als autoritäre Eingriffe empfunden. Vielleicht lohnt es sich, nochmal Max Frisch zu lesen, der ja von Haus aus Architekt war. In den 50ern hat er mit Kollegen architektonische Entwürfe für eine Schweizer Nachkriegsmoderne geliefert. Dabei hob Frisch auf den antiken Polis-Gedanken ab: auf die Gemeinschaft der Bürger, die sich verständigen muss, damit sie nicht auseinanderfällt.

Zum Thema:

Auf einen Blick Das Saarbrücker Institut für Kunstgeschichte ist ab heute Gastgeber einer dreitägigen kulturwissenschaftlichen Tagung zum Thema "Heimat zwischen Kitsch und Utopie". Tagungsgebäude ist das Graduate Center: Campus C9.3 (Jägerheim). Zum Auftakt referiert heute um 14 Uhr Lena Christovola (Konstanz) über "Dahoam is da wo's Gefühl ist" (Über Kitsch und sentimentalen Umgang mit Objekten in Heimatstuben). Um 15 Uhr spricht beispielsweise Christian Janecke (Offenbach) über "Heimatkitschvermeidungsfolklore". Im Rathausfestsaal spricht heute um 20 Uhr Julio Mendívil (Frankfurt) über "Heimat 2.0: Über die imaginäre Heimat in der deutschen Schlagermusik". Am Freitag um 9 Uhr referiert Hans-Georg Lippert über "Der Sehnsuchtsort als Konzentrat gebauter Bilder", um 11.30 Uhr Bernd Mohnhaupt (Saarbrücken) über "Handlungen und Metaphern in den ,Heimat'-Filmen von Edgar Reitz und um 18.30 Uhr Mirko Uhlig über "Heimat und Reenactment". Am Samstag referiert um 10 Uhr Michael Schimek (Cloppenburg) über "Gebaute Heimat? Zur Regionalisierung von Architektur" (Vollständiges Programm mit den übrigen Vorträgen auf der Homepage der Uni). red

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