Neu auf DVD und Blu-ray „Vatermord, das ist ganz normal“

Saarbrücken · Schlecht, aber trotzdem ganz gut: Die Serie „Marseille“ mit Gérard Depardieu auf DVD.

 Gérard Depardieu als Bürgermeister Robert Taro.

Gérard Depardieu als Bürgermeister Robert Taro.

Foto: Koskas/Netflix/Polyband/David Koskas/Netflix

Marseille ist ein Dorf. Zumindest in dieser französischen Serie. Nun sind ja genügend Drehbücher dramaturgisch förmlich am Reißbrett konstruiert. Nur, anmerken sollte man es ihnen nicht. Aber in „Marseille“ kommt es filmisch mitunter knüppeldick. In einer Szene werden beispielhaft alle losen Drehbuchfäden so bizarr miteineinander verknüpft, dass die Episode fast über sie stolpert.

Also:  Da kauft ein Mann in einer Kneipe eine ordentliche Portion Koks – so weit nichts gänzlich Ungewöhnliches. Der Käufer ist der Chauffeur/Berater des süchtigen Marseiller Bürgermeisters (Gérard Depardieu), der gerade unter anderem mit der Mafia im Clinch liegt, da er ein Casino mit legalem Glücksspiel am Hafen plant. Der Kokainverkäufer ist im Nebenberuf allerdings Handlanger eben jener  Mafiosi, die wiederum mit des Bürgermeisters politischem Ziehsohn  (Benoît Magimel) unter einer Decke stecken, der den politischen Tod des Mentors plant. Der Handlanger des Dealers, der bei dem Drogenkauf dabei ist, ist  wiederum ein alter Kindheitsfreund der Bürgermeistertochter (und in sie, klar,   unglücklich verliebt). Deren beste Freundin wiederum arbeitet im Wahlkampfbüro des Bürgermeister-Gegenspielers, der unter anderem den homosexuellen Chef der örtlichen Zeitung umgarnt, wo wiederum die Bürgermeistertochter arbeitet, aber unter falschem Namen, damit ihre Identität nicht bekannt wird.

Also viel „wiederum“, „zugleich“, viele bequeme Zufälle: „Marseille“, die erste französische Eigenproduktion des Streaming-Anbieters Netflix,  die jetzt auf DVD erscheint, ist zweifelsohne eine mies geschriebene Serie. Zumal sie zwei dümmlich-naiv-erotisierte Frauenrollen aufbietet und noch ein paar familiäre Verwicklungen bereit hält,  die sich ein Autor erstmal trauen muss.

Nur – warum ist es trotzdem ein ziemlich großer Spaß, sich die Serie anzusehen? Von dem französischen und ungleich raffinierteren Serien-Konkurrenten „Baron Noir“ (kürzlich hier vorgestellt) oder „House of Cards“ ist „Marseille“ meilenweit entfernt; die Reihe liegt viel näher an „Dallas“, der wohlig überschaubaren, aber auch etwas miefigen Seifenoper der 80er Jahre.

Der große Reiz von „Marseille“ ist, nicht ganz überraschend, sein Hauptdarsteller: Gérard Depardieu, der gallische Wuchtbrummer, räumt mit seiner Präsenz alle Drehbuchhindernisse aus dem Weg, Klischees walzt er wie eine schnaufende Lokomotive platt und erschafft auf deren Trümmern eine plastische, tragisch anmutende Figur. Ein Engel im Polit-Betrieb ist er nicht (wie könnte er das sein, nach 20 Jahren  als Bürgermeister?);  aber an alten Überzeugungen hält er ebenso fest wie an der Zuneigung zum Arbeitsplatz („Verdammt, wie ich diese Stadt liebe“). Dennoch ist er nicht ganz unschuldig daran, dass sein politischer Ziehsohn ihn abservieren will - hatte der Bürgermeister doch geplant, auch aus der Rente heraus über ihn, seinen geplanten Nachfolger, mit- und weiter zu regieren.

Den Schurken spielt Benoît Magimel und zeigt sich Depardieu auf Augenhöhe. Magimel ist von seinen Zusammenarbeiten mit Michael Haneke („Die Klavierspielerin“) oder Claude Chabrol („Die Blume des Bösen“) bessere Drehbücher gewohnt; aber er wirft sich mit Schwung in die Rolle eines Mannes, der sich  höchst konsequent der Machtmechanik widmet, Sex inbegriffen (bevorzugt auf betont unromantische Weise). Und doch treibt auch ihn die Zuneigung zur Stadt an, die der amtierende Bürgermeister in seinen Augen „nicht mehr versteht, er ist zu alt“. Dass er seinen großen Mentor trotz alter Verbundenheit politisch absägen will, ist für ihn nur logisch: „Es ist Vatermord – das ist ganz normal“.

 Der König des Intrigantenstadls: Benoît Magimel als Lucas Barrès.

Der König des Intrigantenstadls: Benoît Magimel als Lucas Barrès.

Foto: Netflix/Polyband/David Koskas/Netflix

DVD und Blu-ray bei Polyband,
326 Minuten. Eine zweite Staffel ist in Vorbereitung.

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