Sophie Linnenbaum über ihren Ophüls-Film „Väter unser“ Die Väter, diese „kleinen Scheinriesen“

Saarbrücken · Die Regisseurin über ihren Film „Väter unser“, die Verantwortung bei der dokumentarischen Arbeit – und das laute Männer-Niesen.

 Sophie Linnenbaum, 1986 in Nürnberg geboren, studierte Psychologie, schreibt Theaterstücke für Kinder und studiert seit 2013 Filmregie an der Film­universität Babelsberg Konrad Wolf. Beim Filmfestival Max Ophüls Preis liefen schon ihre Kurzfilme „[Out of Fra]me“ und „Pix“.

Sophie Linnenbaum, 1986 in Nürnberg geboren, studierte Psychologie, schreibt Theaterstücke für Kinder und studiert seit 2013 Filmregie an der Film­universität Babelsberg Konrad Wolf. Beim Filmfestival Max Ophüls Preis liefen schon ihre Kurzfilme „[Out of Fra]me“ und „Pix“.

Foto: Michael Fetter Nathansky

In ihrem Film „Väter unser“, der bei Ophüls im Dokumentarwettbewerb läuft, lässt die Regisserin Sophie Linnenbaum sechs Menschen von ihren Vätern erzählen. Es sind mal zärtliche, mal gewalttätige Geschichten in einem berührenden, dabei nicht sentimentalen Film.

Ihr Film beginnt damit, dass die Befragten das Niesen ihrer Väter imitieren – wie kamen Sie auf diese Idee?

LINNENBAUM Die Suche nach der Vaterfigur hat mit dem Niesen meines Vaters angefangen. Mein Vater ist ein sehr lauter Nieser, und immer wenn ich in einer Runde mit dem laut niesendsten Vater angeben wollte, gab es mindestens einen, der Stein und Bein geschworen hat, sein Vater würde lauter niesen. Diese Reduktion auf den kleinsten gemeinsamen Vater-Nenner war für mich ein Ausgangspunkt – aber auch ein augenzwinkerndes Sinnbild für dieses Symbolische, fast Hüllenhafte, was für mich der Vaterfigur im allgemeinen anhaftet.

       Ihr Vater hat „Rotz und Wasser“ geheult, als sie auszog.

Ihr Vater hat „Rotz und Wasser“ geheult, als sie auszog.

Foto: Janine Pätzold

Was gab grundlegend den Anstoß zu dem Film – und zum Entschluss, den Film über Väter, nicht über Mütter zu drehen?

LINNENBAUM Der Anstoß war Neugierde – eine Annäherung an „das Wesen Vater“. In meiner Wahrnehmung haben Mütter, auch wenn sich diese alten familiären Strukturen immer mehr aufweichen, durch ihre Präsenz oft etwas scheinbar Alltägliches, beinahe Selbstverständliches, während Väterfiguren durch die Möglichkeit der Abwesenheit kleine Scheinriesen werden können. Damit will ich die Wichtigkeit der Mütter keinesfalls schmälern. Es ist eher ein dramaturgisches Empfinden familiärer Strukturen, das mich interessiert hat. Ein mal mehr, mal weniger wahrhaftiger Mythos. Auch bei meinen Eltern gab es eine stillschweigende Rollenaufteilung – und das, obwohl beide Alt-68er waren und absolute Vertreter der Gleichberechtigung. Wenn ich an meine Kindheit denke fallen mir mit meinem Vater eher Einzelmomente ein. Wie er mir beibringt, Fahrrad zu fahren, wie ich ihm beim Rasieren zuschaue, wie wir gemeinsam Karussell fahren. Die Erinnerungen an meine Mutter sind eher wie ein Fluss, der immer da ist.

Wie haben Sie die Personen für Ihren Film gefunden?

         Seinen leiblichen Vater hat er sehr spät kennen gelernt.

Seinen leiblichen Vater hat er sehr spät kennen gelernt.

Foto: Janine Pätzold

LINNENBAUM Die Leute, die ich für Interviews gefragt habe kamen zum großen Teil durch einen Online Aufruf, den ich gestartet habe. Ein paar waren aber auch Freunde von mir, die ich direkt gefragt habe. Insgesamt haben wir mit 42 Leuten gesprochen, von denen jetzt sechs ausführliche Geschichten im Film sind. Wir planen aus anderen Interviews noch einzelne kürzere Filme für eine Art digitale Ausstellung zu schneiden. 

Wie wichtig war dabei einmal die persönliche Geschichte, aber auch das Erzähltalent der Befragten und wie unbefangen sie sich vor der Kamera gefühlt haben?

LINNENBAUM Ich habe mich in all den Interviews unglaublich beschenkt gefühlt und bin allen sehr dankbar, dass sie sich auf diese gemeinsame Reise mit mir eingelassen haben. Welche Geschichten am Ende im Film gelandet sind, war ein längerer, sehr behutsamer Prozess, gemeinsam mit den beiden Editoren Vincent Tirpitz und Martin Wunschick, bei dem sowohl die einzelnen Geschichten, aber auch ihr Zusammenspiel untereinander eine wichtige Rolle gespielt haben.

Besonders die Geschichte mit dem schizophrenen Vater klingt sehr schmerzhaft – wie war das für Sie beim Dreh?

LINNENBAUM Es war sehr emotional, all diese Geschichten zu hören. Aber auch wenn viele schmerzhafte Aspekte in den Geschichten sind, war es fast immer die Liebe, die letztendlich im Vordergrund stand. Das hat mich in seiner Eindeutigkeit sehr berührt. Ich habe nochmal begriffen, dass ein Kind sehr lange darum kämpfen wird, seine Eltern lieben zu können. Das ist ein Schatz, mit viel Verantwortung.

Hatten Sie Sorge, dass der Film manchmal zu intim werden könnte oder zu „schicksalsvoyeuristisch“ und mussten dann gegensteuern?

LINNENBAUM Ja, wir waren uns der Verantwortung, die wir mit diesem Material haben, sehr bewusst. Sowohl während der Interviewsituation als auch in der Montage war klar, dass wir gewisse Grenzen nicht überschreiten wollen. Es gab Momente in manchen Interviews, da habe ich gespürt, dass wir jetzt vor einer Türe stehen, die nicht schwer aufzumachen zu wäre. Aber mein Gegenüber geht an der Tür vorüber, als habe es die Tür nicht gesehen, und ich begreife, dass es diese Tür nicht sehen will – und das ist sein gutes Recht. Wer bin ich, für eine Stunde eine Tür aufzuschließen, die der andere aus gutem Grund für sich geschlossen hält? Und auch in der Montage haben wir versucht, sehr darauf zu achten, die Offenheit der Befragten zu zeigen, ohne sie dabei auszustellen. 

Wieviel Rohmaterial hatten Sie am Ende?

LINNENBAUM Wir haben im Schnitt eine Stunde mit jeder Person gesprochen, das heißt wir hatten circa 42 Stunden Material.

Wie knifflig war dann der Schnitt, so dass sich die Geschichten langsam aufblättern und ihre Spannung entwickeln?

LINNENBAUM In der Montage haben wir anfangs mit einem Haufen Karteikarten gearbeitet, auf die wir geschrieben haben, was uns gefesselt hat und wo wir Verbindungen zwischen verschiedenen Geschichten gesehen haben. Wir haben dann recht schnell festgestellt, dass ein Film aus diesen Geschichts-Schnippsel viel zu kleinteilig wird und wir den einzelnen Befragten nicht den nötigen Raum geben können. Darum haben wir angefangen, uns zu fokussieren, und so haben sich Stück für Stück die sechs Befragten und ihre eigenen Bögen herausgeschält. Die haben wir dann miteinander verwoben.

Ihr Film ist formal schnörkellos – nur Menschen vor einer dunklen Wand, lediglich die Vornamen werden am Ende genannt, keine Texteinblendungen, man hört auch Ihre Fragen nicht. Wie früh stand dieses Konzept?

LINNENBAUM Die optische Schnörkellosigkeit kam mit den Grundgedanken des Films – einer intimen, strukturellen Untersuchung. Da wir als Filmemacher keine Rolle in diesem Film spielen, sondern der Interaktion zwischen den Befragten Platz machen wollten, war uns auch früh klar, dass wir versuchen, auf meine Stimme oder Ähnliches zu verzichten.

Wie hätten Sie Ihren eigenen Vater beschrieben?

LINNENBAUM Als einen laut niesenden, intellektuellen Bären mit Raucherhusten.

„Väter unser“ und die anderen 97 Filme sind auf der Festival-Streamingplattform zu finden: https://ffmop.cinebox.film

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