Neues Buch Und die Schlümpfe zur Beerdigung

Saarbrücken · Uwe Kopfs einziger Roman „Die elf Gehirne der Seidenspinnerraupe“ erzählt gekonnt und tragikomisch von einem weichen Mann, dem das Leben zu hart wird.

Tom hat lange Haare, ist ziemlich verpeilt und weiß nicht genau, wohin er gehört. Er lässt sich leben. Wegen seiner sanften Art wird er „Jesus“ genannt. Im Mai 1998 erhängt er sich — Selbstmord in der „Art der Greise“. Zuvor hat er noch seine Wäsche gemacht und testamentarisch verfügt, dass es sein Wunsch sei, dass bei seiner Beerdigung das „Lied der Schlümpfe“ abgespielt werde.

„Nachmittags an seinem Sterbetag hat Tom, dieser 40-jährige Junge mit den Lucky-Luke-Beinen, noch mal seine Kinderschrift gebraucht und auf einen Zettel geschrieben, was sein Leben taugt“, erzählt Uwe Kopf in seinem Roman. „Die Polizei wird den Zettel später finden und von einem Bilanzselbstmord reden: Links auf dem Zettel stehen die Wünsche, nämlich Eva, Respekt, Ruhe, rechts steht der Zustand, das Erreichte – ‚Nichts, da kommt nix mehr.’“

Uwe Kopf (1956-2017) hat einen Roman über das Miefleben in der kleinbürgerlichen, prekären Bundesrepublik geschrieben. Aus kleinen Verhältnissen hatte er sich zum anerkannten Journalisten emporgearbeitet. Wir können davon ausgehen, dass er sein eigenes Leben verfremdet erzählt hat. Fragen dazu können an den Autor nicht mehr gestellt werden, im Januar dieses Jahres starb er an Krebs.

Seinen weichen, skurrilen Helden Tom lässt er in Hamburg aufwachsen. Mutter und Großmutter sind traumatisiert vom Krieg. Sein Erzeuger ist abwesend, die wechselnden Männer der Mutter erweisen sich nicht als Vaterfiguren. Tom trinkt, landet bei obdachlosen Kumpels auf der Straße, hat keinen Plan. Was traurig und tragisch klingt, ist mit eigenwilliger Komik aufbereitet. Schwärzester Humor. Er habe mal gelesen, dass der Durchschnittsmann zweihundert Mal pro Tag an Sex denke. Er hingegen denke zweihundert Mal am Tag an den Tod.

Was Kopfs dünnhäutigen Helden in den Jahren am Leben hielt, war Bernhard Grzimek, der als TV-Zoologe in „Ein Platz für Tiere“ von den elf Gehirnen der Seidenspinnerraupe – der Titel des Buches – berichtete. Der wundersame Schmetterling mit seiner Gehirnfülle faszinierte ihn, er dachte viel darüber nach. Schon als Kind hatte er es mit den Tieren. Als ein Freund ihn aufforderte, einen Strohhalm in einen Froschleib zu rammen und ihn damit zum Platzen zu bringen, lehnte er das ab. Mit armen Tieren soll man Mitleid haben, auch mit armen Menschen. Mit seinem Freund Uwe etwa, der schon mit Mitte 30 zwei Herzinfarkte hatte. Mit Freundin Jenny, die ein Kind abtreibt.

Wir kehren in diesem Roman zurück in die 60er bis 90er Jahre. Keine Globalisierung, viel Provinz. Man geht mit den Freunden „jevern“ (Jever Pils trinken), hört Musik von Rory Gallagher, schlägt sich durch. Tom will nichts werden, deshalb arbeitet er nicht. Die Frauen mögen ihn, aber weil er ein Loser ist, hat er wenig Chancen. Mit seiner Verlobten gab es in zehn Jahren Beziehung nicht einmal Sex. Als Tom dann doch noch die Liebe erfährt, dazu die Eifersucht, das ungestillte Verlangen, bringt er  sich um.

Der Roman erzählt die Geschichte der BRD in überraschend warmherziger Weise. Popkulturelle Bezüge sind überall: Fetzen aus Songtexten, Zitate aus Büchern, philosophische und religiöse Auskünfte sind in die Erzählung eingebettet. Wie nebenbei aufgeschnappt, unaufdringlich, aber von höchster Bedeutung für junge Menschen in den unruhigen Achtzigern. Lakonisch ist das, sprachlich präzise, tragikomisch. Und die irre Tom-Geschichte entwickelt durchaus Magie.

Uwe Kopf war bekannt für Kolumnen und Porträts mit Tiefe. 1990 bis 1996 war er Textchef für die Zeitschrift „Tempo“, für seine Kollegen hatte er Schreibregeln formuliert: Vor allem Adjektive sollten vermieden werden. In seinem einzigen Roman hat er sich daran gehalten.

Uwe Kopf: Die elf Gehirne der Seidenspinnerraupe. Tempo Verlag,
316 Seiten, 22 Euro.

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