Udo Lindenberg An Nena rangeschlichen und die deutsche Sprache rundgelutscht

Saarbrücken · Udo Lindenberg blickt in seinem anekdotensatten Buch „Udo“ zurück auf sein wild bewegtes Künstlerleben.

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Foto: Kiepenheuer & Witsch

Mitte der 80er Jahre war das, da sah Udo Lindenberg am Flughafen in Berlin die Nena stehen. Nena, das sollte man wissen, mochte den Lindenberg damals gar nicht, sie fand ihn sogar „grausam“. Aber das wusste Lindenberg damals nicht, es hätte ihn sicher auch nicht aufgehalten, denn er fand sie „lecker“, wie er das nannte, und deshalb wollte er sich rasch mal „anschleichen“.

Der Satz, mit dem der Rocker dann Nenas Herz eroberte, ist ziemlich irre; er hört sich an wie eine Zeile aus einem seiner Songs, und man liest ihn vielleicht am besten laut und mit verstellter Stimme: „Na, Pop-Praline, wie geht’s denn so?“ Nena gefiel das so gut, dass sie die nächsten sechs Monate die Freundin von Udo Lindenberg war. Die „Bild“-Zeitung durfte davon natürlich nichts wissen, und deshalb zog sich Nena manchmal eine Burka über, wenn sie mit Udo ins Hotel ging: „Meine Cousine aus Saudi-Arabien.“

„Udo“ heißt das Buch, das diese Anekdoten sammelt; geschrieben hat es der Journalist Thomas Hüetlin gemeinsam mit dem 72 Jahre alten Lindenberg. Der ist heute beliebter denn je, im nächsten Sommer tritt er wieder in den großen Arenen auf – zu Lebzeiten in die Übergröße gewechselt, sozusagen. Dabei vergisst man leicht, dass es Lindenberg vor gar nicht allzu langer Zeit ziemlich mies ging. Damit beginnt das Buch, und das erste Kapitel ist deshalb vom Start weg so großartig, weil Lindenberg darin Brille und Hut abgenommen werden und auf einmal der Mensch hinter dem Markenzeichen sichtbar wird.

Der Leser begegnet Lindenberg 2006, als er die Nachricht vom Tod seines großen Bruders Erich erhält. Erich war sein Halt, Mr. Superelastisch und Dr. Zuverlässig, seelischer Boxenstopp und geistige Tankstelle, und nun war er fort. Lindenberg steht also an der Wand im Hof vor Erichs Wohnung in Berlin, die Nachbarn feiern gerade eine Party, Trauer und Glück nah beinander. Lindenberg ist zu jener Zeit ein alter Rocker ohne Plattenvertrag. Er lieferte sich mit dem für Normalo-Menschen tödlichen Wert von 4,7 Promille selbst ins Krankenhaus ein. Er sang auf einem Kreuzfahrtschiff. Er war pleite und vergessen. Und jetzt auch noch alleine. Lindenberg hatte Angst.

„Entweder sauf ich mich tot oder ich versuche noch mal ein richtiges Comeback“, soll er gesagt haben, und er wusste wahrscheinlich selbst nicht so genau, in welche Richtung er unterwegs war, als ihn auf der Beerdigung eine Freundin des Bruders ansprach und fragte, ob er nicht einen Song über Erich schreiben wolle. Lindenberg entgegnete: „Der Tod ist ein Irrtum, ich krieg das gar nicht klar. Die rufen gleich an und sagen, es ist doch nicht wahr.“ Das waren, zwei jahre später, die ersten vier Zeilen von „Stark wie Zwei“, Lindenbergs Comeback-Platte. Mit den Worten „Superstar sucht Deutschland“ soll er nach der „Scheidung von Lady Whiskey“ das Studio betreten haben. Die Platte wurde sein erstes Nummer-eins-Album.

Das ist der Rahmen dieser Biografie, die ein deutsches Leben ausrollt. Die Kindheit mit den Helden Tom Sawyer und Benny Goodman in Gronau. Die erste Trommel, gebaut aus alten Fässern. Der Aufstieg zum lokalen „Schlagzeug-Mozart“. Die Sehnsucht nach der großen Stadt und „weltweiter Action“. Mit 16 nach Düsseldorf, Lehre zum Hotelboy im „Breidenbacher Hof“. Dort wird er „Nervenberg“ genannt, weil er immer so nervös ist, und als er ein Tablett mit teuren Karaffen fallen lässt, ist auch das Kapitel vorbei. Dann Hamburg, im „Jazzhouse“ mit Mangelsdorff und Herbolzheimer. Und schließlich die erste Platte: „Lindenberg“, 1971. Der selbst erfundene Werbespruch: „Diese LP ist sicher eines der größten Eier, das das deutsche Pop-Huhn je gelegt hat.“ 7000 Exemplare wurden verkauft.

Man schließt ihn ins Herz, diesen Kerl, der zwischen 1973 und 1982 neun unglaubliche Platten produziert hat und die deutsche Sprache für alle folgenden Generationen ein bisschen runder gelutscht, lässiger und elastischer gemacht hat. Eine Million Mark an Vorschuss kassierte Lindenberg Anfang der 1970er für fünf Platten. Was er damit machte? Leben, Monte-Carlo-Style. „Es muss doch irgendwo ’ne Gegend geben / Für so’n richtig verschärftes Leben / Und da will ich jetzt hin“, sang er, und im Buch heißt es, dass das für Deutschland so etwas war wie für die USA Salingers Buch „Fänger im Roggen“. Ein jugendliches Manifest. Die Urschrift des Aufbruchs.

Man wäre gern dabei gewesen, als er in Hamburg in der Villen-WG mit Otto Waalkes und Marius Müller-Westernhagen lebte und mit Westernhagen nachts im Bötchen auf der Alster philosophierte. Gegen Ende dieses Buches fährt Udo Lindenberg auf Rollerblades durch die Marmorflure eines großen Hotels. Er ist der Alterspräsident aller Junggebliebenen, und wenn von seiner Geschichte eine Lehre übrig bleibt, lautet sie so: Wer auf dem Kopf steht, hat den Himmel als Abgrund.

„Udo“ von Thomas Hüetlin und Udo Lindenberg. verlag Kiepenheuer & Witsch, 352 Seiten, 24 Euro.

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