Buchmesse in Leipzig Tschechische Verlage mit guten Umsätzen

Prag/Leipzig · Wie sich das Gastland Tschechien auf der Leipziger Buchmesse vom 20. bis zum 24. März präsentieren will.

Dass alle Stühle im Saal besetzt sind, liegt auch an ihr: Radka Denemarkova sitzt vorn auf dem Podium, eine der bedeutendsten tschechischen Autorinnen der Gegenwart. Aus den großen Fenstern fällt der Blick auf die abendlich erleuchtete Prager Altstadt, hier drinnen geht es um Literatur. 50 Jahre alt ist Radka Denemarkova, und in Tschechien wird sie oft angefeindet: In ihren Romanen greift sie schmerzhafte Themen auf – sie schrieb etwa über die Vertreibung der Sudetendeutschen („Ein herrlicher Flecken Erde“) oder in ihrem gerade auf Deutsch erschienenen Buch „Ein Beitrag zur Geschichte der Freude“ über sexuelle Gewalt gegen Frauen.

Die tschechische Literaturszene zählt zu den lebendigsten in Europa: Jede Woche finden in Prag, aber auch über das ganze Land verteilt, etliche Diskussionen, Lesungen und Buchvorstellungen statt – und diese Dynamik soll jetzt auch auf Deutschland überspringen. Tschechien ist Gastland der Leipziger Buchmesse, die vom 20. bis zum 24. März stattfindet, und in dieser Zeit sind überall in Leipzig etliche Veranstaltungen mit tschechischen Autoren geplant.

„Zu diesem Anlass erscheinen rund 70 tschechische Titel neu in deutscher Sprache“, sagt Tomas Kubicek, der Projektleiter des Gastlandes Tschechien ist und Direktor der Mährischen Landesbibliothek in Brünn. „Wenn man sich vor Augen hält, dass bei anderen Gastländern oft deutlich weniger Bücher neu erscheinen, zeigt sich daran das Interesse an der tschechischen Literatur“, sagt der Literaturprofessor.

Tatsächlich sind die deutschsprachige und die tschechische Literatur eng miteinander verwoben. Das zeigt auch die Veranstaltung in Prag, bei der Radka Denemarkova auftritt: Sie findet im Österreichischen Kulturforum statt, und Denemarkova berichtet dort auch über ihre Erfahrungen in Graz – dort war sie 2018 Stadtschreiberin. Sie spricht fließend Deutsch, so wie viele ihrer tschechischen Autoren-Kollegen.

Diese Verbindung ist historisch gewachsen: Von Franz Kafka über Franz Werfel bis hin zu Rainer Maria Rilke stammen zahlreiche große deutschsprachige Autoren aus Prag, und im Kommunismus gingen viele prägende tschechische Schriftsteller wie Pavel Kohout, Jiri Grusa und Ota Filip ins Exil nach Deutschland oder Österreich.

Der Messeauftritt in Leipzig dokumentiert den Wandel, den die zeitgenössische tschechische Literatur in den vergangenen Jahren durchlaufen hat. Früher, während der kommunistischen Zeit und auch in den 1990er Jahren, kam es zu einer „Trennung der Literatur vom politischen Leben“, wie es Kubicek nennt – „die Autoren hörten auf, sich mit Dingen zu beschäftigen, die aktuell-politisch sind.“

Seit einem guten Jahrzehnt beobachtet Kubicek eine Veränderung: Die Schriftsteller setzen sich mit der Gesellschaft auseinander, mit der gegenwärtigen Entwicklung ebenso wie mit Traumata aus der Vergangenheit. Radka Denemarkova ist ein Beispiel dafür, ebenso wie etwa Jaroslav Rudis, dessen gerade erschienener Roman „Winterbergs letzte Reise“ für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert ist: Eine Roadnovel ist es, deren Titelheld ein hochbetagter Sudetendeutscher ist. Mit seinem tschechischstämmigen Altenpfleger geht er auf eine letzte Reise an die Orte seiner Kindheit.

Es ist aber nicht nur schwere Kost, die aus dem literarischen Tschechien kommt: Auch der Bestseller-Autor Michal Viewegh ist in Leipzig mit einem neu übersetzten Roman vertreten („Das Städtchen der Schriftsteller“), außerdem werden mehrere Graphic Novels vorgestellt – ein Genre, in dem tschechische Künstler weltweit einen hervorragenden Ruf genießen.

Das Interesse der Tschechen am Lesen ist ungebrochen: Während die Umsätze der Verlage in vielen europäischen Ländern rückläufig sind, verzeichnen sie in Tschechien immer noch ein stetiges Plus. Eine Besonderheit gibt es allerdings, sagt Tomas Kubicek: „Etwa 70 Prozent des tschechischen Buchmarktes machen Übersetzungen von ausländischen Titeln aus, rund 30 Prozent entfallen auf die Werke von tschechischen Autoren – in Deutschland ist das Verhältnis umgekehrt.“ Das liegt wohl auch daran, dass Tschechien mit seinen zehn Millionen Einwohnern ein verhältnismäßig kleiner Markt ist und natürlich auch weniger Schriftsteller auf Tschechisch schreiben.

Dass derzeit eine Renaissance der Autoren aus Prag und Umgebung im Gange ist, davon ist Tomas Kubicek überzeugt. Er erinnert sich noch an das Jahr 1995, als Tschechien zuletzt Gastland in Leipzig war. Damals schrieb ein renommierter Feuilleton-Kritiker, die tschechischen Autoren hätten den Anschluss an die europäische Literatur verloren. Zu beweisen, dass sich das geändert hat – das ist eines der Ziele, das sich die Initiatoren des Gastlandauftritts für die diesjährige Buchmesse gesetzt haben.

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