Straßburger Kunstausstellung Straßburger Perspektivenwechsel

Straßburg · Straßburgs Museum für zeitgenössische Kunst spielt in seiner neuen Schau „Micromégas“ mit künstlerischen Dimensionen.

  Wim Delvoye, Susan, Out for a pizza, Back in Five Minutes, 1996 Strasbourg, MAMCS. Photo Musées de Strasbourg © ADAGP Paris 2018

Wim Delvoye, Susan, Out for a pizza, Back in Five Minutes, 1996 Strasbourg, MAMCS. Photo Musées de Strasbourg © ADAGP Paris 2018

Foto: Photo Musées de Strasbourg © ADAGP Paris 2018

Das Mobile zeigt, mit ausgreifenden Armen und schwarzen Kugeln in verschiedenen Größen, gleich am Eingang der Ausstellung „Micromégas“ worum es geht: um Klein und Groß, also darum, dass klein auch mal groß, und groß auch mal klein sein kann.

Das Museum für zeitgenössische Kunst in Straßburg („Musée d’art moderne et contemporain“) hat dazu in sechs Räumen einen kurzweiligen Parcours durch eine Auswahl von Werken seiner Sammlung angelegt. Humorvoll geht es mit Alain Séchas’ im Comicstil gehaltener Szene los: „Na, Kleiner“ blickt die Riesenkatzenfigur auf den Winzling vor sich herab, doch der niest mal kräftig, und schon fliegt der überhebliche Riese raketengleich in die Luft. Die Ausstellung bemüht sich um niedrigschwellige Angebote. Benannt nach Voltaires philosophischer Erzählung „Micromégas“ von 1752, die vom Besuch eines Außerirdischen auf der Erde handelt und die Relativität unserer Standpunkte thematisiert, ist allen Werken gemeinsam, dass Dimension auch nur eine Frage der Perspektive ist. Sprich: man alles auch mal anders sehen kann.

Der amerikanische Fotograf Irving Penn (1917-2009) macht keinen Unterschied zwischen Tiefkühlkost, seiner sehr schönen Frau und Zigarettenkippen. Penn verleiht durch seinen Blick und aufwendige fotografische Verfahren jedem Motiv eine surreale, zeitlose Schönheit. Kompromisslos ästhetisch sind die Aufnahmen seiner damals vom Fotostudioboden aufgelesenen Zigarettenstummel, die „Micromégas“ im gleichen Raum zeigt wie den weißen und friedlichen Baumriesen von Didier Marcel, der einen anzusehen scheint. Didier Marcel macht Kunst aus Natur, er stellt etwa Abgüsse von Bodenfurchen her und modelliert diese aus geeignetem Material nach. Wie ein Art Hochrelief an der Wand hängend, wirkt das Ackerland gemäldeartig und aggressiv real zugleich. Marcel wendet sich, wie er sagt, gerne trivialen Formen zu.

Das künstlerische Spektrum ist beachtlich: Bei Jimmie Durham ist ein zufrieden blickender Steinkopf in ein Haus gefallen, füllt es vollständig aus, zerstört es somit und öffnet den Weg für Neues. Daneben zeigt ein mittig platzierter Karton mit innenliegender Videoinstallation einen anarchischen Spaß des Künstlerkollektivs Blue Noses. Man sieht sie förmlich vor sich: Drei besoffene Sibirier, die sich blaue Flaschendeckelchen auf die Nase klemmen und denken, „ey super Künstlername“. Blue Noses erregten mit ihrer Videoinstallation „Little Men“ in ihrer Heimat Anstoß: „Eine Schande für Russland“, befand die Regierung. Umgehend machte dies das Kollektiv im Kunstmarkt bekannt. Was aber zeigt „Little Men“ nun? Halbnackte Menschlein sausen mit farbigem „Düsenantrieb“ von rechts nach links, tauchen auf und ab, kugeln durcheinander, schimpfen und lassen uns ihr Video-Gegickel aus dem Karton überall in der Ausstellung  hören.

Die aber wird gegen Ende dann doch recht ernst. Kaum beachtet in seiner Ecke weist ein flacher, kleiner, bleicher Mann aus Latex im Wechsel auf seine beiden Verkaufstischchen. Fliegende Händler inspirierten den brasilianischen Konzeptkünstler Cildo Meireles zu seinem „Camelot“. So formiert sich im letzten Raum eine düstere Endzeitstimmung: schwarze Trümmerfelder aus unterschiedlichen Objekten, Kinderschuhe, Töpfe, Türmchen, eine Art „Metropolis“ in fahlem Licht. Als Schatten an der Wand zeigt eine große Uhr das Fortschreiten der Zeit, in zwei Häusern ohne Dach atmet es, „Federbetten“ heben und senken sich. Voltaire lässt seine Außerirdischen eine Frage an die Menschen richten: Die wüssten offensichtlich sehr gut Bescheid über alles, was sie umgebe, aber wüssten sie denn auch, wie es in ihnen aussehe, „sagt mir, was Eure Seele ist und wie Ihr auf Eure Ideen kommt?“

Bis 26. August. Di-So von 10-18 Uhr
(1, place Hans-Jean Arp)

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