Neu im Kino Zornige Frauen, die Gewalt erben

Saarbrücken · Steve McQueens Thriller „Widows“ über vier Gangster-Witwen thematisiert auch Korruption und die Gier einer gewalttätigen Gesellschaft.

 Viola Davis (li.) als Veronica und Cynthia Erivo als Belle in einer Szene des Films „Widows – Tödliche Witwen“. Steve McQueens Thriller startet morgen in einigen Kinos der Region.

Viola Davis (li.) als Veronica und Cynthia Erivo als Belle in einer Szene des Films „Widows – Tödliche Witwen“. Steve McQueens Thriller startet morgen in einigen Kinos der Region.

Foto: dpa/-

Auf den ersten Blick ist der morgen anlaufende neue Film von Steve McQueen ein Thriller, ein Gangster-Movie im Stil von Michael Manns „Heat“. Es geht um einen Überfall, viel Geld und wie man damit durchkommt. Doch die schlichte Genre-Zuordnung wird „Widows – Tödliche Witwen“ nicht gerecht. Schon in „Hunger“ und „Shame“ hatte McQueen die Extreme seiner Protagonisten ausgelotet und in streng komponierte, kühle Bilder gekleidet. „12 Years a Slave“ ersparte trotz seiner lichtdurchfluteten Cinemascope-Bildern der farbigen Baumwollfelder, der grünen Landschaften Louisianas und der opulenten Herrenhäuser ebenfalls nichts und zwang, genau hinzusehen.

„Widows“ mag in der Erzählhaltung konventioneller und geradliniger sein. Doch McQueen setzt erneut auf eine vielschichtige Form, die auf mehreren Ebenen funktioniert. Es geht um mehr als nur Spannung, es geht um Politik und Korruption, um eine gewalttätige und gierige Gesellschaft.

Der Film beginnt mit einer irritierenden Parallel-Montage. Während sich mitten in Chicago eine laute, aufregende Autoverfolgungsjagd zwischen Polizei und Bankräubern zuträgt, küsst – in kurz aufblitzenden Rückblenden, Stunden davor – Harry Rawlings, dargestellt von Liam Neeson, seine Frau Veronica (Viola Davis) in einem schneeweiß bezogenen Bett. Die Polizei stellt die Gangsterbande; es kommt in einem Lagerhaus zum Schusswechsel, der Fluchtlaster fliegt in die Luft, das Geld verbrennt, die vier Gangster, darunter Harry Rawlings, sind tot. Veronica aber bleibt kaum Zeit zu trauern. Denn Harry hat mit seiner Bande den Möchtegern-Politiker und lokalen Gangster Jamal Manning ausgeraubt. Der will sein Geld zurück, wie er Veronica ruppig und unmissverständlich klarmacht. Zufällig findet die Witwe Harrys Notizbuch mit einer langen Liste aller Raubzüge und dem Plan für den nächsten.

Anstatt das Büchlein meistbietend an interessierte Unterweltgrößen zu verkaufen, kommt Veronica auf die Idee, den Coup selbst durchzuziehen – und zwar mit Hilfe der drei anderen Witwen: Linda, Mutter dreier Kinder, die wegen der Spielschulden ihres Mannes soeben ihr Bekleidungsgeschäft verloren hat; Alice, eine langbeinige Blondine, die als Escort-Girl arbeitet; und Belle, die von Beruf Friseuse ist.

Im Hintergrund spielt dazu das Wettrennen um das Amt des Stadtrats im 18. Bezirk zwischen Manning und Jack Mulligan eine Rolle, der aus einer traditionsreichen Politikerfamilie stammt. Jack Mulligan wird von Colin Farrell verkörpert, der seiner Figur eine amüsante Selbstironie verleiht, die sich in lakonischen, manchmal auch resignierten Sprüchen Bahn bricht. Robert Duvall spielt Mulligans rassistischen Vater, der mit seinem Sohn und seinem überwiegend von Afroamerikanern bewohnten Viertel höchst unzufrieden ist.

Farrell und Duvall sind Teil eines hochkarätigen Ensembles, zu dem auch Daniel Kaluuya als kaltblütige, gleichgültige rechte Hand von Manning zählt. Wenn er auf einer Bowling-Bahn einen Rollstuhlfahrer mit zahlreichen Messerstichen foltert, ist dies an Grausamkeit kaum zu überbieten.

Bemerkenswert ist der Stil des Films, angefangen beim schnellen dramaturgischen Rhythmus über die gewagt geschnittene Exposition bis zur höchst eleganten Kamera von Sean Bobbitt – etwa bei einer hinter Glasscheiben aufgenommenen Unterhaltung oder einer Diskussion in einer Limousine, bei der die Kamera von außen an den geschwärzten Fenstern entlanggleitet.

Steve McQueen zeichnet abgeschlossene Welten, in denen sich Grausames abspielt: Polizeigewalt, häusliche Gewalt, Sex als Arbeit. Die Selbstverständlichkeit, mit der zu Beginn eine gemischtrassige Ehe gezeigt wird, kontrastiert mit dem Rassismus, den Robert Duvalls Figur vertritt. So bleibt McQueen in „Widows – Tödliche Witwen“ seinen Themen treu. Er lässt sie beiläufig in den Film einfließen, ohne sie allzu sehr herauszustellen. Viel wichtiger sind ihm die vier starken, zornigen Frauen, die sich selbst ermächtigen und vom düsteren Erbe ihrer Männer emanzipieren. Es macht Spaß, ihnen dabei zuzusehen.

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