Spiel mit dem eigenen jüngeren Ich

Saarbrücken · Nach 30 Jahren schlüpfte Barbara Nüsse, heute im Ensemble des Hamburger Thalia Theaters, am Samstagabend in der Sparte 4 wieder in die Rolle von James Joyces' Molly Bloom.

 Barbara Nüsse solo in der Sparte 4. Foto: Krafft Angerer

Barbara Nüsse solo in der Sparte 4. Foto: Krafft Angerer

Foto: Krafft Angerer

Vor der Leinwand auf der Bühne steht ein schwarzer Holztisch mit zwei Stühlen. Davor sind viele bunte Damenhandschuhe lose verstreut. Um acht Uhr nimmt Barbara Nüsse an dem zum Publikum zugwandten Stuhl Platz und atmet erst einmal tief durch. Hinter ihr erscheint auf der Leinwand das jüngere Konterfei ihrer selbst in einer Theaterkulisse, die frappierend der in der Saarbrücker Sparte 4 arrangierten ähnelt. Zufall? Wohl mitnichten. Denn genau wie vor dreißig Jahren, als Barbara Nüsse in der Hamburger Kampnagelfabrik den berühmten Molly-Bloom-Monolog aus James Joyces "Ulysses" zum besten gab, hat auch dieses Mal Ulrich Walter die szenische Einrichtung des abermals "Penelope" benannten Stückes besorgt. Und so gleicht die Inszenierung nicht von ungefähr der damaligen, wobei der Clou im angedachten Gespräch zwischen der auf die Leinwand projizierten Nüsse alias Molly Bloom und der auf der Bühne live agierenden, mittlerweile 73-jährigen Schaupielerin in derselben Rolle liegt.

Zunächst sind es ruhende Momentaufnahmen aus der früheren Inszenierung, die den Zuschauer zum visuellen Abgleich zwischen dem jüngeren Alter Ego und der anwesenden Schauspielerin einladen. Unter dem schwarzen Mantel trägt Nüsse auch an diesem Abend das wallende rote Kleid, das die jüngere, mit mächtig Kajal und Lidschatten geschminkte Nüsse in aufreizenden Posen in Szene setzte. Immer wieder - so scheint es - fällt Nüsses Blick auf ihre im Hintergrund installierte Verjüngung, so, als müsste sie sich ob der präsentierten Simultanität ihrer selbst vergewissern.

Dieses hintersinnige Spiel erfährt mit fortschreitender Spieldauer auch eine inhaltliche Vertiefung. Denn die auf ihren abwesenden Mann wartende und im nächtlichen Halbschlaf dahindämmernde Molly Bloom erliegt den vornehmlich männlichen Chimären vergangener Tage. Da ist die Rede von den Verflossenen, die um Erlaubis bitten, die Gestalt ihres Schlafzimmers erfragen zu dürfen; oder um ein Stück ihres Schlüpfers bettelten, unter Androhung sich im nagelneuen Frack in die dreckige Pfütze zu knien. Molly kennt sie genau, "die Männer und ihre Touren", und sie wird nicht müde, die von ihr zeitlebens erfahrenen libidinösen Aufwartungen in kaskadenförmigen Monologfetzen bis zur Schmerzgrenze zu wiederholen. Doch nicht nur die Tonlage hat sich in dreißig Jahren in ein sonores, gealtertes Timbre vertieft. Als Molly sehr explizit von einem sexuellen Abenteuer berichtet, wird die Leinwand zur Bühne - und die anwesende Bloom zur bloßen Beobachterin ihres früheren, ungezügelten Treibens.

Die feinsinnige Inszenierung tariert unter behutsamem Einsatz der Einspieler das fragile Verhältnis von Fremdheit und Vertrautheit aus. Nüsse zieht alle schauspielerischen Register und schafft im Wechselspiel mit den Projektionen intime Momente, die von der Passion ihrer Schauspielkunst zeugen, wofür sie in der vollbesetzten Sparte 4 reichlich Applaus und Anerkennung erntet.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort