Helene Hegemanns neuer Roman „So eine Seele ist viel zu belanglos“

Saarbrücken · Helene Hegemann serviert mit „Bungalow“ einen radikalen Roman, mit rotzigem Sprachgestus in die Schattenseiten des Lebens hineingerammt.

 Autorin Hegemann, die 2010 mit 18 Jahren ihr gefeiertes (und später nach Plagiatsvorwürfen kritisiertes) Romandebüt „Axolotl Roadkill“ vorlegte.

Autorin Hegemann, die 2010 mit 18 Jahren ihr gefeiertes (und später nach Plagiatsvorwürfen kritisiertes) Romandebüt „Axolotl Roadkill“ vorlegte.

Was ist das nun? „Nur“ das unter die Haut gehende literarische Psychogramm einer Zwölfjährigen? Oder auch das Generationenporträt eines sozial abgehängten Teils der heutigen Jugend? Und steckt da­rin nicht auch noch eine Dystopie, die künftige deutsche Verhältnisse vorwegnimmt? Nicht ganz – das kaputte Seelenleben eines bindungslosen Teenagers zeichnet Helene Hegemanns „Bungalow“ fraglos nach. Aber darin auch ein umfassendes Zeitporträt, sprich den großen Gesellschaftsroman ausmachen zu wollen, würde den Roman überfrachten. 

„Ich schreibe das für mich. Ich weiß nicht, wer diese Geschichte außer mir zu Ende lesen soll“, heißt es gleich auf der zweiten Seite. So glaubhaft, unverblümt, ungezügelt und plastisch, wie sie geschrieben ist, will man sie zu Ende lesen. Sechs Jahre liegen zwischen Anfang und Ende des Romans, in dem Hegemann am Beispiel einer verelendenden Mutter-Tochter-Beziehung in radikaler Schärfe ein Stück soziale Aussichtslosigkeit vor Augen führt. 17 ist Charlie, von der man nicht weiß, wieviel Hegemann in ihr steckt, zu Beginn – im ersten der 30 Kapitel. Ab dem zweiten kreist dann alles nurmehr um die Zeit, als sie 11, 12 und 13 war.

Wie uns Hegemann sofort hineinstürzen lässt in ihren konsequent aus Charlies Ich-Perspektive erzählten Seelen-Striptease, das offenbart im Nu, wie hier Brutalität und Sehnsucht, Selbstaufgabe und Ausweglosigkeit Hand in Hand gehen. Über eine Waschmaschine gebeugt, hat die 17-Jährige Sex mit Georg, ehe sie ihn bis zur Ohnmacht würgt, während seine Frau bekifft auf dem Sofa zuschaut. „Sie wollten keinen Ersatz für das Kind, das sie nicht rechtzeitig gekriegt hatten. Echt nicht. Sie wollten auch nicht meine Seele, fällt mir gerade auf. So eine Seele ist viel zu belanglos.“ Als Charlie Georg und Maria fünf Jahre vorher kennenlernt, sind sie ihr Rettungsanker in dem trostlosen Nichts, durch das sie taumelt. Während sie mit ihrer meist besoffenen Mutter in einer vermüllten Hochhauswohnung lebt, verkörpern Georg und Maria, Schauspieler beide, in ihrer chicen Bungalow-Siedlung ein besseres, vor allem unorthodoxes Leben. Trotz ihres mondänen Lebensstils sind sie in ihrer Grundhaltung Punks. Also versucht sich Charlie an sie dranzuhängen. Ehe es gegen Ende gelingt und sich der anfangs vorgezeichnete Kreis schließt, watet man 200 Seiten lang durch Charlies Verhängnis. Hegemann serviert einen radikalen Roman, in rotzigem Sprachgestus förmlich mitten hineingerammt in die Schattenseiten des Lebens.

Die Härte, mit der Hegemann Charlies desolate Lage ausbreitet, erzeugt ein Vakuum, aus dem alle Wärme und Behaglichkeit abgesaugt ist. Ein Leben in Scham und Schleim. Ab der Monatsmitte muss das Mädchen sich aus Supermarktmülltonnen versorgen oder daheim das Würfelzuckerdepot plündern. Ihr Bauchredner heißt Hunger. Wenn ihre Mutter nicht einen ihrer schizoiden Schübe hat und zur unberechenbaren Furie wird, die Charlie mit dem Bügeleisen Brandmale verpasst und dem in ihren Nüchternheitsphasen dann wieder Fürsorgeanfälle folgen lässt, liegt sie tagelang komatös im Bett. Um sich noch zu spüren, ritzt sich Charlie („Alles war ganz einfach, man konnte Empfindungen in seinem eigenen Blut ertränken.“), ansonsten versucht sie, in der Schule und vor ihrem einzigen Freund Iskender notdürftig Normalität zu spielen. Als er doch Zeuge der mütterlichen Exzesse wird, zieht Charlie die Notbremse und bricht mit ihm. Wie soll sie mit Zwölf auch ihre Mutter verraten?

Die unlarmoyante Genauigkeit, mit der Hegemann ihre Figur als Erwachsene derart porentief auf diese Verwahrlosungsjahre zurückblicken lässt, als wären sie nie vergangen, trägt viel zur Wucht und Authentizität des Buchs bei. Auch zeigt die gerade mal 26-Jährige wie schon in ihrem 2010 hysterisch bejubelten Debüt „Axolotl Roadkill“ einmal mehr, dass sie literarisch ihr Handwerk versteht. Wie sie in ihrer „Bungalow“-Hexenküche einen Sud aus Mitleid, Sorge und Abscheu anrührt, der auf jeder Seite nach bitterem Leben schmeckt, das ist ziemlich gekonnt. Nachdem ihr Autorenstern mit gerade mal 18 Jahren aufging und ebenso schnell wieder zu verglühen drohte, weil sie in „Axolotl Roadkill“ ohne Quellenangaben ganze Passagen abgekupfert hatte (vornehmlich vom Literaturblogger Airen), strickte die Medienbranche sie zur Skandalfigur um. Acht Jahre später wirkt sie als Autorin merklich gereift. Wobei sie ihrem Sujet, der hemdsärmeligen Demaskierung von Jugendwelten, treu geblieben ist. Im neuen Roman lädt sie diese mit lauter Endzeit-Versatzstücken auf (Notstandsgesetze, Selbstmordwellen, Bürgerkriegszustände, Geiselnahmen im Theater), die an Michel Houelle­becqs jüngsten Roman „Unterwerfung“ erinnern. Dabei spielt ihre eigene Stadt-Dystopie eigentlich im Hier und Heute. Dass dennoch Drohnentaxis fliegen und ein Großteil der Nachbarn Charlies zwischendurch verwundet im Schlamm liegen, gehört zu den Unschärfen des Romans, die man hinzunehmen hat, auch wenn sie dessen Verwahrlosungssetting nur unwesentlich bereichern.

 Sie lassen sich aber auch als bloße Imaginationen Charlies lesen – als Projektionen dessen, was sie ihr „genussreiches Leid“ nennt. Wie heißt es in einer Schlüsselstelle?: „Irgendwas ließ mich immer wieder von der Notwendigkeit meiner eigenen Vernichtung ausgehen.“ Wenn im Inneren alles entweder auf Eis gelegt ist oder in die Luft fliegt, gleicht irgendwann die ganze Welt einem verminten Gelände. Charlie ist dankbar dafür. Weil Gewalt ihr Wachmacher ist und sie sich wie ein Zombie in Wartestellung fühlt. „Jederzeit würde ich Todesangst diesem Phlegma vorziehen, in dem man keiner unmittelbaren Gefahr ausgesetzt, aber bis zur Selbstaufgabe oder schon darüber hinaus gelangweilt ist.“

Greifbarer als in diesem Roman, der eine schwarze Spur des Elends nach sich zieht, wird ein Leben in der totalen Sackgasse selten. Allenfalls lässt sich dem Buch zum Vorwurf machen, dass es im letzten Drittel seine Ausweglosigkeitsspirale allzusehr strapaziert und Charlie auf fast zynische Weise selbstvergessen eine Untergangspirouette nach der anderen drehen lässt: Dass zuletzt Krieg in der Luft liegt, gleicht für eine Ausgestoßene wie sie dann einer Erlösung.

Helene Hegemann: Bungalow.
Hanser Berlin, 285 Seiten, 23 €.

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