Ausstellungen Gold und Silber: Wie sich die Nazis vor 80 Jahren bereicherten

München · Eine Münchner Ausstellung sucht nach den Erben von Raub-Objekten, die Juden 1939 auf Geheiß der Nazis bei Leihämtern abgaben – eine Spur führt nach Saarbrücken.

  Silber- und Goldobjekte, die vom NS-Regime durch Zwangsabgabe aus jüdischem Besitz genommen wurden,   zeigt die Schau   „Silber für das Reich – Silberobjekte aus jüdischem Eigentum“ im Bayerischen Nationalmuseum.

Silber- und Goldobjekte, die vom NS-Regime durch Zwangsabgabe aus jüdischem Besitz genommen wurden, zeigt die Schau „Silber für das Reich – Silberobjekte aus jüdischem Eigentum“ im Bayerischen Nationalmuseum.

Foto: dpa/Matthias Balk

(dpa) Für den NS-Staat war es eine wunderbare Gelegenheit, an Geld zu kommen – für die Juden war es eine weitere Demütigung und Entrechtung. Vor rund 80 Jahren, am 21. Februar 1939, wurden sie per Verordnung gezwungen, sämtliches Gold, Silber und Edelsteine gegen eine geringe Entschädigung abzugeben. Besteck, Leuchter, Becher und rituelle Gegenstände waren darunter. Vieles wurde eingeschmolzen, schöne Dinge stellten sich die Machthaber ins Büro oder ins Wohnzimmer. Auch Museen sicherten sich damals einiges, so wie das Bayerische Nationalmuseum in München. Unter dem Titel „Silber für das Reich“ zeigt das Museum nun bis 10. November 112 solcher Objekte und schildert das Schicksal der Familien, denen sie entzogen wurden. Zugleich soll die Ausstellung dabei helfen, Erben der Ausgeraubten zu finden.

„Sie haben ihr Hab und Gut abgegeben und erhielten eine kleine Entschädigung, ein paar Pfennige“, sagt der Provenienzforscher Alfred Grimm aus München über die von Hermann Göring angeleierte Aktion, der damit die Aufrüstung der Wehrmacht finanzieren wollte. Der Romanist und Germanist Victor Klemperer aus Dresden, der den Holocaust überlebte, notierte am 7. April 1939: „Man zahlt, ohne den Kunstwert zu berücksichtigen. 3 Pf(ennige) für das Gramm Silber und zieht von der Gesamtsumme noch 10 Prozent ab.“ 15 Mark, 70 Pfennige erhielt Klemperer für seine Goldsachen, die er im Leihamt abgab. Einen anderen Teil verschenkte er. „In die Hände der Nazis soll es nicht fallen.“ Das meiste Gold und Silber wurde eingeschmolzen. Daraus ließen die Nazis etwa Medaillen und Bilderrahmen fertigen, um Musiker, Minister, Künstler, Sportler und andere „verdiente“ Helfer zu ehren. Gegenstände „von Kunst und Seltenheitswerten“ wurden verschenkt, meist aber verkauft. Reichsweit habe der Weiterverkauf 54,2 Millionen Reichsmark eingebracht, schreibt Grimm im Ausstellungskatalog. Der NS-Ideologe Alfred Rosenberg schwärmte 1940 von der „Rettung von Kunstschätzen“. 75 000 Tonnen Edelmetall habe diese „Metallsammlung“ ergeben.

Vor allem in kleinen Häusern lagerten sicher noch Tausende solcher geraubten Objekte, vermutet der Provenienzforscher Uwe Hartmann vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste in Magdeburg. Oft seien die Gold- und Silbergegenstände den Museen vom Bürgermeister zugewiesen worden, ohne dies in irgendeiner Form zu dokumentieren. „Diese Sachen sind nie inventarisiert worden“, beschreibt Hartmann die Schwierigkeit. So bleibt den Provenienzforschern nur, die Objekte auf Datenbanken wie www.lostart.de einzustellen und zu hoffen, dass sich Erben der NS-Opfer melden. Eine mühsame Arbeit, und dennoch: „Es ist eine Pflicht, aber vor allem eine Verpflichtung denjenigen gegenüber, die unter dem NS-Regime zu leiden hatten“, findet Grimm.

Das Bayerische Nationalmuseum hatte Glück. Hier fanden sich Unterlagen, die Rückschlüsse auf die Familien zuließen, die Gold und Silber beim Städtischen Leihamt abgegeben hatten. 1939 und 1940 erwarb das Museum 322 solcher Gegenstände. Der Großteil wurde den Eigentümern zurückgegeben, 112 Objekte sind noch übrig. Sie wurden 63 Familien zugeordnet, nach deren Erben nun auch online gesucht wird, zum Teil mit Erfolg. Ansprüche von Leuten aus Kanada und den USA sowie Deutschland werden laut Grimm bereits geprüft.

Bei einem Goldpokal aus dem 17. Jahrhundert und einem silbernen Gewürzfass aus dem 19. Jahrhundert, die in der Ausstellung zu sehen sind, scheint die Sache klar zu sein. Sie gehörten einem jüdischen Ehepaar Marx aus Augsburg, das später in München wohnte. Leo Marx kam früh ins Konzentrationslager, aus politischen Gründen. 1939 zwangen ihn die Nazis zur Ausreise nach Shanghai. Seine Frau Dina und zwei Söhne blieben zurück, weil die Reise zu teuer war. Sie wurden 1941 nach Kaunas in Litauen deportiert und ermordet. Leo Marx kehrte 1948 nach Deutschland zurück, heiratete erneut und bekam einen Sohn, Michael, der heute noch in Saarbrücken lebt.

  Michael Marx mit seinem Sohn Daniel in der Schau. In der Vitrine ein Pokal aus dem 17. und ein Gewürzgefäß aus dem 19. Jahrhundert, die Dina Marx gehörten, der ersten Ehefrau des Vaters von Michael Marx. Beides musste sie den Nazis überlassen.

Michael Marx mit seinem Sohn Daniel in der Schau. In der Vitrine ein Pokal aus dem 17. und ein Gewürzgefäß aus dem 19. Jahrhundert, die Dina Marx gehörten, der ersten Ehefrau des Vaters von Michael Marx. Beides musste sie den Nazis überlassen.

Foto: dpa/Matthias Balk

Für den 64-jährigen Marx war die Entdeckung der Stücke bewegend, auch weil sein Vater nie etwas über seine erste Ehe, seine Söhne und die gesamte Zeit erzählt hatte. Umso wichtiger sind für ihn der Pokal und das Gefäß. „Ob die materiell was wert sind, weiß ich nicht, das ist mir auch egal. Ich will sie gerne haben und in Ehren halten.“

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