Neue Ausstellung im Saarlandmuseum Schweißtreibende Radierungen

Saarbrücken · Die Moderne Galerie feiert den saarländischen Grafiker Thomas Meier-Castel in einer grandiosen Schau.

 Seismographics, 1999 von Thomas Meier-Castel

Seismographics, 1999 von Thomas Meier-Castel

Foto: © Ute Gortner-Meier 2018. Foto: Saarlandmuseum/Tom Gundelwein.

Betritt man den großen Saal im neuen Anbau der Modernen Galerie, blickt man sich ungläubig um. Die wandfüllenden Großformate sollen Radierungen sein? Kaum vorstellbar. Es sind Arbeiten des saarländischen Künstlers Thomas Meier-Castel, den das Saarlandmuseum mit einer Einzelschau zu seinem zehnten Todestag ehrt.

Meier-Castel war in vielerlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Wie kaum ein zweiter Künstler des 20. Jahrhunderts widmete er sich fast ausschließlich der Kaltnadelradierung. Weil er sich von den als Beklemmung empfundenen Grenzen kleiner Formate zu lösen versuchte und getrieben wurde vom Wunsch, die herkömmliche Bearbeitung der Druckplatten aufzubrechen, nutzte er immer größere Formate und griff zu schwerem Werkzeug. „Meier-Castel wollte trotz der Jahrhunderte alten Technik bewusst zeitgemäß arbeiten, dem Medium ein zeitgenössisches Aussehen geben“, so Kuratorin Mona Stocker. Er traktierte die Platten in einem physischen Akt unter vollem Körpereinsatz mit Winkel-, Band und Parkettschleifern, mit Kettensägen und Schlagbohrmaschinen. Der Schaffensakt wurde zum Kunstwerk, dessen Spuren sich auf dem Papier festhalten ließen. Es sind erstarrte Momente von Bewegungen, Gedanken und Emotionen.

Die Motive hat der Grafiker auf dünne Metallplatten von 2,25 mal 1,10 Metern aufgetragen und die Einzelblätter nach Fertigstellung zu zwei- bis neunteiligen Feldern mit bis zu 19 Quadratmetern Fläche zusammengesetzt. Schon das erfordert viel Können im Druck, damit die Blätter perfekt zusammenpassen. Weil es für solche Dimensionen keine Druckerpressen gab, ließ sich der aus Blieskastel stammende Grafiker eigens eine überdimensionale Tischpresse bauen. „Trotzdem“, so Museumschef Roland Mönig, „erstellte Meier-Castel fast immer nur ein Original und betonte damit den Anspruch auf Einmaligkeit jedes Blattes.“

Seine Werkzeuge beherrschte er virtuos. Auch wenn Spontanität und Zufall eine Rolle spielen, ist nahezu jede Linie in einem gewollten Akt gesteuert auf die Unterlage gebracht worden. Das war gar nicht so einfach, wie Meister-Castel einmal in einem Interview berichtete. Viele Male sei er der Parkettschleifmaschine hinterhergelaufen, bis sie tat, was er wollte. Der Grafiker kratzte mit den Maschinen zarte Linien in die Metallplatten, scheuerte Kreise und verdichtete Linien zu Flächen. Manchmal kumuliert die Druckerfarbe zu tiefem Schwarz wie in den „Fleurs du Mal“, dann wieder ist es ein zartes Nebelgrau wie in „Fogbanks“ – dessen Titel auf die Nebelbänke in seiner lothringischen Wahlheimat anspielt. In der Serie „Light Lines“ wischte er die Farbe gezielt von der Platte und beließ sie nur in den tiefen Querrillen, sodass weiße Linien mit schwarzem Quermuster entstanden – ein außergewöhnlich aufwendiger und schwieriger Prozess, den nur wenige so meisterhaft beherrschen.

Die Bilder entstanden häufig an Orten, die den Künstler beeindruckten, wie etwa im offengelassenen Chemiewerk Leuna oder in den Festungsanlagen bei Verdun. Immer wieder entwickelte er aber auch Werkreihen in der Beschäftigung mit zeitgenössischen Themen. So entstand „Seismographics“ in der Auseinandersetzung mit einem Erdbeben in der Türkei, dessen Schwingungen Meier-Castel visuell umsetzte. Vibrierende Liniensäulen durchlaufen das Bild in Wellen und scheinen sich über den Druckrand in den Raum auszudehnen. Die wunderbare Schau konzentriert sich auf die letzten Schaffensjahre und zeigt auch Grafiken, die bisher noch nicht zu sehen waren oder aufgrund ihrer Größe noch nie hängend präsentiert werden konnten.

 Speedways, Berlin-Marseille, eine 2000 entstandene Arbeit von Thomas Maier-Castel (1949-2008).

Speedways, Berlin-Marseille, eine 2000 entstandene Arbeit von Thomas Maier-Castel (1949-2008).

Foto: © Ute Gortner-Meier 2018. Foto: Saarlandmuseum/Tom Gundelwein.

Bis 5.8.; Di-So: 10-18 Uhr, Mi: 10-20 Uhr.

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