Rafik Schami wird 75 „Als Kind glaubte ich nicht, dass ich alt werde“

Marnheim · Als er vor 50 Jahren nach Deutschland kam, konnte Rafik Schami von einer Schriftstellerkarriere nur träumen. Heute gilt er als wichtiger Autor und Erzähler. Zu seinem 75. Geburtstag mischt sich in die Freude auch Melancholie.

 Schriftsteller Rafik Schami las zuletzt 2019 im Saarland, im Saarbrücker Schloss.

Schriftsteller Rafik Schami las zuletzt 2019 im Saarland, im Saarbrücker Schloss.

Foto: dpa/Uwe Anspach

Seine Bücher sind Anleitungen zum Träumen und eine leidenschaftliche Werbung für das Erzählen. Wenn der Schriftsteller Rafik Schami seine Geschichten voller Sehnsüchte, Weisheiten, Humor und Melancholie entblättert, nimmt er den Leser mit auf eine Reise durch Zeiten, Länder und Kulturen. An diesem Mittwoch wird der in Marnheim in Rheinland-Pfalz lebende Autor 75 Jahre alt. Groß feiern will er nicht – aber zurückblicken und „eine gewisse Bilanz ziehen“.

„Ich werde den Tag wahrscheinlich mit meiner Frau und meinem Sohn verbringen und, wenn das Wetter es erlaubt, lange spazieren gehen“, sagt Rafik Schami. Eine „kleine Freude“ werde er bestimmt fühlen, weil er 75 geworden sei. „Als Kind war ich oft krank und glaubte nicht, dass ich alt werde, deshalb habe ich immer sehr intensiv gelebt.“ Nach Party stehe ihm nicht der Sinn. „Nicht nur aus Pandemie-Gründen, sondern auch aus Trauer um die ganzen Entwicklungen in Syrien, dem Libanon, Ägypten, Libyen, dem Jemen, sowie in Palästina und Israel ist mir nicht nach Feiern.“

Schami wurde am 23. Juni 1946 in Damaskus (Syrien) geboren, kam 1971 nach Deutschland und promovierte 1979 in Heidelberg in Chemie. Rafik Schami ist ein Pseudonym und bedeutet „Damaszener Freund“. Sein wirklicher Name lautet Suheil Fadél. Schami gilt als wichtiger Erzähler deutscher Sprache – „Die Zeit“ nennt ihn den „letzten Wanderliteraten“.

Kritiker schätzen seinen genauen Blick auf den deutschen Alltag, in dem er seit nunmehr 50 Jahren lebt. Er gilt als brillanter Beobachter der Lebenswirklichkeit um ihn herum. Mit Witz erzählt der Wahl-Pfälzer etwa über Nudelsalat, den deutsche Gäste bei Einladungen mitzubringen haben, oder das irreführende Wort „Leichenschmaus“. Schami schildert aber auch skurrile Situationen in seinem damals noch nicht vom Bürgerkrieg zerrissenen Geburtsland.

Von Syrien träume er im Schlaf immer weniger, sagt der Autor. „Aber Tagträume habe ich oft, manchmal kurz vor dem Einschlafen und fast immer beim Aufwachen.“ Dann reite er blitzschnell zu seiner Jugend und Kindheit in den Gassen von Damaskus und erlebe vieles, „als wäre es gestern geschehen“. Von einem Wiedersehen mit der Stadt träumt er jedoch schon lange nicht mehr. „Ich bin auch in meinen Wünschen und Tagträumen realistisch geworden. Vielleicht ist es das Alter oder auch das Platzen vieler Hoffnungen über das Leben in Syrien.“

Um sein Deutsch zu verbessern, schrieb er einst Thomas Manns Monumentalwerk „Buddenbrooks“ mit der Hand ab. In seinen Büchern schildert Rafik Schami facettenreich das Leben und Lieben in Syrien oder lotet auch einmal das Verhältnis der Religionen im Orient aus. Im Sommer erscheint sein Band „Mein Sternzeichen ist der Regenbogen“. Geschichten seien das, „die oft in Deutschland spielen, deren Helden aber aus aller Welt stammen“, erzählt der Autor. Daneben bereite er seit fast zehn Jahren ein großes Werk vor und brauche dazu noch zwei, drei Jahre. „Wenn der Todesengel mich schont, würde ich ihm ein Pistazieneis schenken“, sagt Rafik Schami augenzwinkernd und auch mit etwas Melancholie. „Sobald das Werk in Druck geht, kann er mich abholen. Er kann, aber muss sich nicht hetzen. Ich habe noch Zeit.“

Derzeit nicht vor Publikum auftreten zu können, fällt dem Künstler schwer. „Ich mache überhaupt Bücher, um sie mündlich frei zu erzählen. Das ist meine Lebensaufgabe: diese mündliche Erzählkunst zu verteidigen.“ Die Corona-Pandemie erwischte ihn 2020 mitten in einer Tournee durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Auftritte in 110 Städten waren geplant. „Ich musste schweren Herzens am 12. März nach dem 93. Erzählabend abbrechen“, sagt Schami.

75 Jahre – wäre der jüngere Rafik Schami zufrieden mit dem Älteren? „Ich glaube, bei aller Bescheidenheit, mit Ja antworten zu dürfen“, meint der Autor. Er habe geträumt, ein Schriftsteller zu werden und dazu ein mündlicher Erzähler. „Beides bin ich geworden. Dafür bin ich sehr dankbar.“ Fleiß allein helfe aber nicht. „Es muss eine Portion Glück dazu kommen. Und die bekam ich.“

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