Architektur/Baukultur Schluss mit dem ewigen Sammelsurium!

Tholey · Eine Tagung der Saar-Touriszentrale trommelt für die Aufwertung von Ortsbildern und zeigt auf, dass mehr Baukultur nötig ist.

 So geht’s auch: Altbau in Homburg, vor und nach der Sanierung (und neuem Dachstuhl).

So geht’s auch: Altbau in Homburg, vor und nach der Sanierung (und neuem Dachstuhl).

Foto: Anja Welle/Architekturbüro Anja Welle, Homburg

Hinter der Abtei von Tholey sieht man im Kleinen, woran es bei Ortsbildern oft krankt im Saarland – an baulichem Wildwuchs, dem nie Einhalt geboten wurde. In dem Fall sind es zwar nur drei Garagenkästen, die sich schmerzhaft in die der Abtei gegenüberliegenden Gärten hineindrücken. Sicher, es gibt Schlimmeres. Dennoch wandte sich der Teilnehmertross, der zum Finale der von der Saar-Tourismuszentrale ausgerichtete Tagung „Ortsbilder, die Visitenkarte touristischer Destinationen“ den Tagungsort Tholey durchlief, instinktiv ab. Die Lehre daraus: Nicht mal im unmittelbaren Umfeld innerörtlicher Kleinodien ist man vor Frevel gefeit.

Einen ganzen Vormittag lang hatten die nach Tholey gekommenden Gemeindevertreter zuvor Anregungen gesammelt, wie sich Ortsbilder aufwerten ließen. Die aus München angereiste Regionalberaterin Heike Glatzel brachte es auf den Punkt: „Entfernen, Verdecken, Ablenken“, gab sie als Devise aus. In fünf Orten (Homburg, Neunkirchen, Schiffweiler, Losheim, Tholey) führt Gratzel derzeit „Atmosphäre-Checks“ durch – eingefädelt von der Tourismuszentrale, die das Saarland für Auswärtige attraktiver machen will, dabei aber mit der fehlenden Aufenthaltsqualität vieler Orte zu kämpfen hat. Zwar hob Gratzels Vortrag vornehmlich auf die „Gestaltung einer Urlaubswirklichkeit“ ab. Doch las sie damit unweigerlich den Einheimischen die Leviten – sie tat es charmant und wohlwollend. Ob sie nun das Verhunzen von Vorgärten zu keimfreien Kiesgräbern geißelte, sie den Fassaden- und Trottoir-Overkill mit Werbebannern und Kundenstoppern an der Saar „deutschlandweit beispiellos“ nannte oder sie lieblose Ortseingänge in Erinnerung rief: Stets war ihr Credo, auf Reduktion und Vereinheitlichung zu setzen. Hinsichtlich des Stadtmobilars – ob Papierkörbe, Bänke, Blumenkübel oder Poller – warb sie für ein Ende des Sammelsuriums, sprich für klare Handschriften. Auch beim Dezimieren des hiesigen Schilderwaldes: „Machen Sie Ihren Gewerbetreibenden klar, dass heute kein Mensch mehr Apotheken oder Geschäfte per Schild sucht.“

In Tholey hat Gratzel bereits Gehör gefunden. Obwohl Bürgermeister Hermann-Josef Schmidt, in der nordsaarländischen CDU-Hochburg seit 15 Jahren im Amt, einräumte, anfangs skeptisch gewesen zu sein. Dem Politiker in ihm gefalle es nicht unbedingt, wenn eine Kommission durch seinen Ort laufe und notiere, was da alles schlecht sei. „Dinge, die vorher vielleicht gar keiner bemerkt hat.“ Weil heute eigentlich kaum mehr jemand zu Fuß durch einen Ort laufe. Damit traf Schmidt einen neuralgischen Punkt: unsere Betriebsblindheit. Außenstehende (etwa Touristen) sehen oft mehr als Alteingesessene. Etwa vermooste Haltestellen, zugewachsene Wegekreuze, verdreckte Schilder, verbaute Ecken. Seit diesem Frühjahr kümmert man sich Tholey um derlei Schwachstellen. Haltestellen werden jetzt regelmäßig gesäubert, verwaiste Schaufenster mit aufgeklebten Fotomotiven kaschiert. Auch versucht man, dem Ort unterschwellig ein Farbleitbild zu verpassen und stellt nach und nach rote Blumenkübel und „Mitfahrerbänke“ auf.

Solange daraus nicht jene „Kakophonie von Farben,. Formen und Gestaltungen“ erwächst, vor der der Saarbrücker Architekt Igor Torres in seinem Vortrag warnte, können Farbkonzepte ein kostengünstiger Ansatz zur Homogenisierung sein. Torres warb für Gestaltungssatzungen und maßvolle Blicke. In doppelter Hinsicht: Einerseits gelte es, zu sensibilisieren für die Bedeutung von Sockeln, Fenstern, Türen und Dachformen für die Rhythmisierung von Fassaden und die Proportionen von Ensembles. Andererseits sei dem Sichaustoben von Privateigentümern im Dienst des Gesamtbildes von Orten möglichst Einhalt zu gebieten. Doch wie? Indem etwa Gemeinden ihre Vorbildfunktion in Blick nähmen, meinte Torres.

Gleiches mahnte bei der späteren Ortsbegehung der Saarbrücker Regionalplaner Peter Lupp an. Er ermutigte Gemeinden dazu, mit Architekten, Denkmalpflegern, Künstlern und Baubiologen Musterhäuser im Zeichen regionaltypischen, landschaftsgebundenden Bauens zu entwickeln. Idealerweise sollte das keine Neu- sondern Umbauten mit Vorbildfunktion sein. Damit anstelle austauschbarer Kataloghäuser herkunftsorientierte Bestandslösungen Nachahmer finden, die alten Häusern ein neues Gesicht geben.

           Altbau in Homburg, nach der Sanierung

Altbau in Homburg, nach der Sanierung

Foto: Anja Welle/Architekturbüro Anja Welle/Homburg

Tholeys rühriger Bürgermeister Schmidt bekannte bei der späteren Ortsbegehung, Kommunen könnten heute „nur noch Dinge machen, für die es Zuschüsse gibt“. An Fördertöpfen von Land, Bund und EU ist kein Mangel. Ein Viertel der Umsetzungskosten aber müssen Gemeinden im Schnitt selbst tragen Die Not mache erfinderisch, sagt Schmidt. Oft lässt sie aber nur ein bisschen Kosmetik zu. Das wird im Wettbewerb um Zuzügler und Abwanderungswillige vielerorts nicht ausreichen, das weiß auch Schmidt. Weshalb er in Tholey Dorfentwicklungskonzepte für alle Ortsteile auf den Weg gebracht hat. Steter Tropfen höhlt den Stein – auch den der Bauunkultur.

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