Saarlouiser Stolpersteine

Saarlouis · Mit 60 Laien hat der Schriftsteller Alfred Gulden fast ein Jahr lang ein Sprechstück über Saarlouis einstudiert, das dort morgen uraufgeführt wird. Wie gelingt es, solch ein Projekt mit lauter Amateuren zu stemmen?

 Hört die Signale: Regisseur Alfred Gulden (72) bei der Probenarbeit in Saarlouis. Foto: Christian Schu

Hört die Signale: Regisseur Alfred Gulden (72) bei der Probenarbeit in Saarlouis. Foto: Christian Schu

Foto: Christian Schu

In Salmshaus, dem mitten im betörenden Park der Villeroys gelegenen ehemaligen Treidlerhaus von 1828 mit Blick auf den Saar-Altarm in Wallerfangen, stehen an diesem Morgen Croissants auf dem Tisch. Halb verborgen auf dem Boden aufgebaut: eine ganze Ordner-Batterie mit gesammelten Entwürfen, Fassungen und Notizen zum neuen Sprechstück und einem unvollendeten Gulden-Roman, dem es entlehnt ist. Auf einer Anrichte über dem Kamin platziert: ein auf einen Saarlouiser Pflasterstein aufgepfropftes "Silberherz", das ihm die Laientheatergruppe geschenkt hat, mit der er seit elf Monaten probt. Irgendwann holt es Alfred Gulden in die Hand und sagt: "Ist das nicht rührend?"

Doch, ist es. Bemerkenswert aber ist vor allem, dass es Gulden gelungen ist, eine Truppe von 60 Leuten über Monate hinweg bei der Stange zu halten. Keiner von ihnen hat seit Januar eine der anfangs wöchentlichen, seit August alle zwei Tage abgehaltenen Proben versäumt, sagt er. An diesem Samstag steht nun im frisch renovierten Theater am Ring die Uraufführung von Guldens "Silberherz" an - einer aus fünf Teilen basierenden launigen, 33-stimmigen Stadt-Impression, in der sich das Damals mit dem Jetzt amalgamiert und sich Erdachtes und Getanes, Verdrängtes und Verehrtes paart. Zusammengeführt im Kopf eines fiktionalisierten Stadtschreibers, der nach einem Unfall im Hospital in Fieberträumen liegt, Platanen und Ratten raunen hört und Straßenkehrer (und andere Randgestalten) oder die alten Baumeister Charles de Lamont und Edouard Menkès ihre Saarlouiser Weltsicht herbeisoufflieren lässt.

Während Gulden in Salmshaus das Stück umreißt, blickt man auf die Spalier stehenden Ordner, in denen noch viele gebändigte Stimmen mehr ruhen.

Als Gulden - im Saarland seit den Romanen "Greyhound" (1982) und "Die Leidinger Hochzeit" (1984) und zahllosen Mundartgedichten eine feste Größe - Anfang 2015 über die "SZ" Mitwirkende für ein Stück über Saarlouis suchte, rührten sich 110 Leute im Alter von 9 bis 85. "Hochofenarbeiter und Krankenschwestern, Bankangestellte und viele Lehrer", sagt ihr spiritus rector. 88 blieben nach dem Casting dabei, 60 kamen bis zuletzt zu den in der Kaserne VI der Stadt seit Februar generalstabmäßig geplanten Proben.

Gulden, der in seiner alten Wahlheimat München - bis heute sein Zweitwohnsitz, wie er ganz gerne einflicht - dereinst zehn Jahre lang Sprecherziehung studierte und ein paar weitere lang dann Rhetorik unterrichtete an der Bayerischen Verwaltungsschule, dürfte seinen Schützlingen einiges beigebracht haben. Über chorisches Sprechen oder die Rolle von Masken im Theater hielt er ihnen Vorträge und lehrte sie die rhythmische Vortragskunst. Bei aller Arbeit: Man merkt dem "Saarlouiser Bub" (Gulden über Gulden zu anderer Zeit) an, wie bereichernd es auch für ihn selbst war. Auch wenn er, das Croissant in der Hand, dann sagt, er habe nicht gedacht, "dass mich das so auffrisst".

Saarlouis' im März verstorbene Kulturamtsleiterin, Heike Breitenmoser, hatte ihn 2015 gefragt, ob er nach seiner 1978 uraufgeführten Historischen Revue zum 300-jährigen Stadtjubiläum ("Saarlouis 300") nochmal ein Stück nachschieben wolle. Gulden, den die Stadt 2014 auf zwei Jahre hin zu ihrem Stadtschreiber ernannt hatte ("man wollte mich wohl zu meinem 70. ehren"), winkte ab. Verfiel dann aber auf die Idee, die Figuren aus seinem seit gut 20 Jahren in Arbeit befindlichen Saarlouis-Roman auf die Bühne zu bringen - "als Sprechstück von einem Bürger mit Bürgern für Bürger der Stadt". Daraus ist nun "Silberherz" geworden. Gulden setzt ganz auf das Wort, auf Sprechakte: keine musikalische Grundierung, kein Schauspielern sei die Devise.

Eigentlich sei er ja seit 50 Jahren Saarlouiser Stadtschreiber, so Gulden. Die zwischen Frankreich und Deutschland wiederholt hin- und hergeworfene Stadt (Gulden erinnert dabei auch an ihre NS-Zeit und den Abbruch der Reste ihre Synagoge 1983) habe eine "aberwitzige Geschichte", die sein Stück pars pro toto einfangen will. Wobei man die Textvorlage schwerlich Stück nennen kann. Sie mutet eher wie ein szenischer Bilderbogen an, dessen metaphorische Klammer reichlich dünn bleibt: Guldens lokale Gesellschaft besteigt nach einer unbenannten Katastrophe eine Art Arche Noah - sich fragend, was von ihr, was von uns bleibt. Dankenswerterweise legt Gulden dabei für uns Stolpersteine zuhauf aus.

Samstag (20 Uhr) und Sonntag (18 Uhr), Theater am Ring.

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