Perspectives Atemberaubende Akrobatik im Wohnzimmer

Saargemünd · Das beeindruckende Gastspiel des Cirque Le Roux beim Perspectives-Festival im Rathaus von Saargemünd.

 „Elephant in the room“: Akrobatik und Variété.

„Elephant in the room“: Akrobatik und Variété.

Foto: Francesca Torracchi/Perspectives/Foto: Francesca Torracchi

Es gibt einen Moment an diesem Abend, an dem sich aus dem Staunen über die absolute Körperbeherrschung vor unser aller Augen eine ungläubige Frage herausschält: Wie ist das möglich? Physisch? Physikalisch? Wie ist das etwa möglich, dass einer den anderen auf seiner Hand einen einhändigen Handstand vollführen lassen kann? Man sieht es, ohne es zu begreifen. Und erliegt, je abenteuerlicher die circensischen Künste im Lauf dieser 75 Minuten werden, früher oder später dem enormen Charme dieser Truppe.

Wie die Vier des Cirque Le Roux (bestehend aus den ganz offenkundig in Manegen groß gewordenen  Akrobaten Lolita Costet, Yannick Thomas, Gregory Arsenal und Philip Rosenberg) am Freitag und Samstag im Theatersaal des Hotel de Ville in Sarreguemines einander durch die Luft wirbeln, sich verknoten, Saltos schlagen oder sich zu organischen Skulpturen verschlingen, das ist mit normalsterblichen Turner-Maßstäben nicht mehr zu fassen.

Was nicht heißt, dass der Abend ohne Schwächen auskommt. Das fängt mit dem abstrusen Plot an, in den die Körperartistik eingefasst wird: Braut will ihren zukünftigen Ehemann vergiften, doch ein Verehrer und ihr Butler platzen immer dazwischen. Die Szenerie ist in ein großbürgerliches Rauchzimmer in den späten 30ern versetzt. Das Grammophon spielt Barmusik. Das Geschehen selbst ist eine krude Mischung aus Slapstick, Film-Noir-Zitaten, Zauberkunststückchen und handfester Manegenkunst. Weil Schauspielern nicht die Domäne des Quartetts ist, gerät der erste, viel auf Situationskomik (und allzu viele Handstände) setzende Teil etwas schwerfällig.

Als die Gliederpuppentruppe, die vorne und hinten nach Belieben zu vertauschen scheint, dann aber mehr und mehr ihrer Kerndisziplin Akrobatik & Varieté frönt, gewinnt  „Elephant in the room“ an Fahrt und Dichte. Der Titel, eine englische Redewendung, meint so viel wie das gesellschaftliche Ignorieren eines für alle offenkundigen Problems. Hier meint das wohl die den Körperverschlingungen und tänzerischen Pas de deux’ eingeschriebene, bisweilen homoerotische Sexualisierung, die zum Ende dann auch in die Andeutung eines dionysischen, von Rossiniklängen untermalten Liebesmahls münden.

Philip Rosenberg kommt als untersetzter Leonardo di Caprio-Verschnitt daher; Gregory Arsenals herrlich tölpelhafter Butler erinnert an Roberto Benigni. Dazu gibt Yannick Thomas die Jahrmarktfigur des  kraftstrotzenden Gladiators, der die ferderleichte Lolita Costet durch die Luft wirbelt.

Zum Finale ranken sich die Vier schließlich in einer alle physikalischen Gesetze scheinbar aushebelnden Manier gemeinsam um einen Mast; liegen horizontal in der Luft; stehen freihändig turmhoch aufeinander. Klar, dass es dafür Standing Ovations gab.

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