Neue Literatur von Jörg W. Gronius Der Satzfetzensalat ist angerichtet

Saarbrücken · Der Saarbrücker Autor Jörg W. Gronius hat aus Radio-Nachrichten einen Gedichtband gemacht.

  Studieren geht über Frisieren: Gronius 2015 bei einer Lesung in der Ausstellung „Hairdressers“ in der Saarbrücker Galerie Sali e Tabacchi.

Studieren geht über Frisieren: Gronius 2015 bei einer Lesung in der Ausstellung „Hairdressers“ in der Saarbrücker Galerie Sali e Tabacchi.

Foto: Kerstin Kra§mer

Nein, die Idee ist nicht neu. Baute nicht Enzensberger aus Nachrichtenstücken Gedichte? Und tauchen Verlautbarungssprechblasen nicht als Fundstücke im Werk von Rolf Dieter Brinkmann oder Ror Wolf auf? Nicht zu vergessen Peter Rühmkorf, der ein geniales Sprachrecycling betrieb. „Informationsfluxus“ nennt der seit Jahren in Saarbrücken lebende Schriftsteller Jörg W. Gronius sein in seinem neuesten Band „Guten Abend die Nachrichten“ erprobtes Verfahren, Schnippsel aus Radio-Nachrichten zu Gedichten zusammenzumontieren.

Sieben Monate lang hat er dazu Nachrichtentexte gesammelt und gesampelt. Ohne erläuternde Vorrede setzt der Band mit einem „20. Oktober 2017“ überschriebenen vierstrophigen, reimlosen Gedicht ein und endet 100 Seiten später auf gleiche Weise mit dem letzten – datiert auf den „27. Juni 2018“. Ihm folgt auch kein als Nachwort angehängter Werkstattbericht des Nachrichtenzertrümmerers Gronius. Die Texte sollen also ganz für sich sprechen. Tun sie. Aber muss man gleich ein ganzes Buch aus diesen zu Enjambement-Exzessen ineinandergefügten Nachrichtentorsi machen? Gewisse Ermüdungseffekte gibt es, dekliniert Gronius seine Satzgrundformen doch auf dieselbe Art und Weise durch: Man nehme einen Fünfminuten-Satz Radio-Nachrichten, zerhacke die Meldungen zu Satzfetzen und komponiere sie zu mal mehr, mal weniger stringenten Sinn- und Unsinn-Neuschöpfungen zusammen, die man mit eigenen dichterischen Passagen verkittet. Fertig ist der sich selbst entlarvende Nachrichtensalat.

Andererseits: Gronius’ Bedeutungsmäanderei ist nicht ohne Reiz. Sie entfacht, lässt man sich darauf ein und versucht die jeweiligen Nahtstellen seiner aufgelesenen Satzfetzen auszumachen, bisweilen eine Art permutatives, dadaistisches Sprachfeuerwerk. Etwa, wenn man unter „6.­November 2017“ folgende amerikanische Abrechnung liest: „Massaker in den USA hat nicht mit / paradise papers und Waffen zu tun / gute Bewaffnete müssen böse Bewaffnete / töten oh wie einfach ist das // Amerikaner ohne Waffen sind halbe / Hühner magere chicken wings gewickelt in / paradise papers magere Aussichten / für Ford und General Motors“.

Ob Rüstungsdeals, Brexit, Klimawandel, Glyphosat, Stuttgart 21, Koalitionsverhandlungen, Migration, Facebook, Aktienkurse, Insolvenzverschleppung, Billigflieger oder Steueroasen: Gronius zieht als Sprachzyniker vom Dienst alles gleichermaßen durch den Kakao: „das Ein- und das Weggesackte“ klingt ebenso an wie die Unbelehrbarkeit unserer Zeit („das Historische muss zurücktreten für die / Gegenwart der Zukunft“), die Absurditäten und Heucheleien der Politik („Entlastungen in den USA drastisch erhöht / Wangenküßchen hinter verschlossenen Türen“) oder das kleine Einmaleins des Kapitals („Jobvernichtung Gewinn für die Weltwirtschaft“). Ein bisschen erinnert das durch die assoziativen Schleifen, die Gronius zieht, an Antonin Artauds „écriture automatique“. Doch hält sich der poe­tische Mehrwert bei Gronius’ Sampling in überschaubaren Grenzen.

Jörg W. Gronius: Guten Abend die Nachrichten oder Informationsfluxus. Wehrhahn Verlag, 108 S., 10 €.

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