Roman „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ „Gewalt kommt mit Folgen und Leiden einher“

Saarbrücken · Ein Mann soll ein Kind suchen. Was wie ein sehr simpler Plot klingt, wird in Marlon James‘ neuem Roman zu einem Epos, das viele Lesegewohnheiten auf die Probe stellt.

 Der Schriftsteller Marlon James aus Jamaika. Sein Roman „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ wurde 2015 mit dem „Man Booker Prize“ ausgezeichnet.

Der Schriftsteller Marlon James aus Jamaika. Sein Roman „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“ wurde 2015 mit dem „Man Booker Prize“ ausgezeichnet.

Foto: dpa/Andy Rain

Ein klassisches Heldenepos in moderner Form – das hat der amerikanische Bestsellerautor Marlon James mit seinem neuen Roman „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ geschrieben. Die Rahmenhandlung entspricht dabei alten Erzähltraditionen: Denn ein außergewöhnlicher Mann soll einen ungewöhnlichen Auftrag erfüllen.

Dass weitaus mehr als nur eine einfache Geschichte auf die Leser wartet, verrät schon ein erster Blick in das mehr als 800 Seiten lange Buch. Ganz am Anfang findet sich eine Liste mit den „Figuren der Erzählung“. Sie ist vier Seiten lang und umfasst 85 Einträge, darunter so ungewöhnliche wie „Sogolon, die Mondhexe“, „Gommiden, zuweilen freundliche Waldwesen“ und „Ipundulu, vampirischer Blitzvogel“.

Die wichtigste Figur aber ist Sucher. Wie so viele Figuren des Romans verfügt auch er über außergewöhnliche Fähigkeiten. Bei ihm ist es ein ganz besonderer Geruchssinn, mit dessen Hilfe er aufspüren kann, wer und was einmal an einem Ort war, aber längst verschwunden ist. In „Schwarzer Leopard, roter Wolf“ erzählt Sucher von dem besonderen Auftrag. In Zeiten großer politischer Unsicherheiten soll er einen kleinen Jungen finden. Wer dieses Kind ist, wer es hat verschwinden lassen und warum es so wichtig ist, bleibt Sucher ebenso unklar wie die eigentliche Identität der Auftraggeber.

So nimmt Sucher, wie einst die Helden der Antike, sein von oben verordnetes Schicksal an und macht sich an der Spitze einer ungewöhnlichen Gruppe auf die Suche nach dem Kind. Schnell wird klar, dass die Handlung in einer sehr eigenartigen Welt spielt. Auch wenn die einzelnen Teile des Romans von selbstgezeichneten Karten eingeleitet werden, so ist die Handlung geografisch nur schwer einzuordnen. Am ehesten käme Westafrika als Handlungsort infrage, zeitlich angesiedelt weit vor dem Kontakt mit Europäern.

Eine allzu genaue Bestimmung von Ort und Zeit wäre der Handlung aber auch nicht angemessen. Immerhin betont Sucher schon am Anfang: „Die Wahrheit frisst die Lüge, wie das Krokodil den Mond frisst“. Und ebenso präzise sind alle anderen Angaben, genau wie bei einem klassischen Heldenepos. Die Suche nach dem verschwundenen Kind liefert nur die Rahmenhandlung in „Schwarzer Leopard, roter Wolf“. Immer wieder baut Marlon James neue Handlungsstränge in die Erzählung ein, in denen die Mitglieder von Suchers Expedition mal größere und mal kleinere Rollen spielen. Zusätzliche Komplexität gewinnt der Roman dadurch, dass die Figuren nicht immer diejenigen bleiben, als die man sie kennengelernt hat. Identität ist im Roman nichts Festes, sondern etwas sich stets Änderndes und Unvorhersehbares.

Die immer neuen Handlungsstränge bereichern den Roman, aber sie alle vereint ein hohes Maß an Gewalt. In einem Interview mit der britischen Zeitung „Guardian“ erläuterte Marlon James, warum er in seinem Roman der Gewalt eine solch große Rolle gegeben hat: „Man muss es ris­kieren, um ihrer Macht und ihrem Schrecken näherzukommen. Gewalt kommt mit Folgen und Leiden einher, und davor schrecke ich nicht zurück. Also hat die Gewalt ein lauteres Echo in meinen Büchern.“ Schon in seinem Erfolgsroman „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“, für den er 2015 mit dem renommierten Booker Literaturpreis ausgezeichnet wurde, hatte James eine gewalttätige Gesellschaft in seinem Herkunftsland Jamaika beschrieben. Die Fantasiewelt im neuen Roman ist noch brutaler. Für viele Leser könnte James zu weit gegangen sein.

„Schwarzer Leopard, roter Wolf“ ist als erster Teil einer „Dark Star“ genannten Trilogie konzipiert. In Interviews hat James angedeutet, dass es keine Fortsetzung der bisher erzählten Handlungen werden soll – sondern eine Neuerzählung aus anderen Perspektiven.

Marlon James: Schwarzer Leopard, roter Wolf. Heyne, 832 Seiten, 28 Euro.

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