„Don Carlos“ im SST „Große problemfreie Liebe gibt es nicht“

Saarbrücken · Roland Schwab inszeniert die Oper „Don Carlos“ als Roadmovie der Komplexe am Saarbrücker Staatstheater.

 Ein narzisstischer Don Carlos, der vor dem Vater flieht und stets den fatalsten Weg sucht: Regisseur Roland Schwab fokussiert die beliebte Verdi-Oper ab 24.  Januar auf eine ungesunde Vater-Sohn-Beziehung.

Ein narzisstischer Don Carlos, der vor dem Vater flieht und stets den fatalsten Weg sucht: Regisseur Roland Schwab fokussiert die beliebte Verdi-Oper ab 24. Januar auf eine ungesunde Vater-Sohn-Beziehung.

Foto: Astrid Karger

Inquisitionshysterie, Liebesdrama und Familientragödie: Mit „Don Carlos“ ist ab Freitag, 24. Januar, einer der populärsten Opernstoffe von Giuseppe Verdi im Saarbrücker Staatstheater zu sehen. Die Inszenierung hat Roland Schwab übernommen, der dort 2017 bereits „Guillaume Tell“ in Szene setzte. Bei „Don Carlos“ verspricht der in Paris geborene und in München aufgewachsene Regisseur ein surreales, bildstarkes Erlebnis. Im Interview erklärt er, wie er die Vorzüge von den sieben Fassungen, die Verdi von dem Stoff angefertigt hat – allen voran das französische Original (1867) und die italienische Fassung (1884) – vereinen will.

Herr Schwab, nach „Guillaume Tell“ kehren Sie mit „Don Carlos“ nach Saarbrücken zurück. Was haben Sie mit dem Stoff vor?

ROLAND SCHWAB Ich werde oft für die Massenmaschinerie gebucht, was ich auch gerne mache. Mein Wunsch ist dann aber, Dynamik hereinzubringen. Das ist bei „Don Carlos“ sehr wichtig, den ich oft sehr statisch erlebe. Musik und Szenerie machen ihn sehr monumental und verleiten zu Bewegungslosigkeit.

Inwiefern statisch?

SCHWAB Mein Leiden war immer durch monumentale Kulissen und Arrangements bedingt, weil sich darin die dynamische Energie der Konflikte verliert. „Don Carlos“ hat mit Politik, Religion, Familie und Liebe sehr viele Themen. Der stärkste Konflikt aber, der oft untergeht, ist die ungesunde Vater-Sohn-Beziehung. Don Carlos versucht permanent, aus dem Schatten des Vaters zu treten.

Was sehen Sie in der Hauptfigur?

SCHWAB Don Carlos ist eine sehr problematische Figur, er ist von Schiller und Verdi wissentlich sehr geschönt worden, um einen Sympathieträger zu erschaffen. Er ist ein Mensch, der sich nicht mehr beherrschen kann, ein haltloser Träumer, der sich in Halluzinationen verliert. Das kann man sehr gut herausarbeiten und der Darstellung trotzdem Sympathiepotenzial lassen – ihm wird ja übel mitgespielt, wenn ihm die Verlobte vom Vater entrissen wird.

Wie wollen Sie gegen die Monumentalität angehen?

SCHWAB Das Gegenteil von Statik ist ein Roadmovie, das nicht in Palazzi stecken bleibt und von einem Menschen erzählt, der mit seinem Porsche aus der Kurve fliegt. Das war mein erstes Bild. Die fünfaktige Fassung ist eine große Chance, denn die Musik hat, vor allem im Fontainebleau-Akt, merkwürdige Schwebezustände. Die Angabe „wie im Delirium“ steht auch so oft wie in keiner anderen Partitur. Verdi wollte Surrealität und das greife ich auf.

Besteht bei einem so vielschichtigen Plot die Gefahr, sich zu verzetteln? Alles soll ja in 3,5 Stunden passen.

SCHWAB Wenn man es komplett aufführen würde, würde die Oper noch eine Stunde länger dauern, es gibt viele Ballettnummern, die für Paris komponiert wurden, die wir dramaturgisch nicht brauchen. Meine Inszenierung sollte dreieinhalb Stunden nicht überschreiten, enthält aber viel Material aus der französischen Fassung. Um nicht in viele Szenen zu zerfallen, muss man einen eigenen Akzent deutlich setzen.

Verdi hat sieben Versionen von „Don Carlos“ angefertigt. Welche setzen Sie um?

SCHWAB Jeder „Don Carlos“ ist eine Mischfassung. Die französische Fassung wird von uns zu etwa 80 Prozent gut bedient. Aber ich sehe große Vorzüge in den italienischen Finali in Akt vier und fünf, die komprimiert sind und eine Dichte haben, die das französische Original entbehrt. Sébastien (Sébastien Rouland, musikalischer Leiter, Anm.d.Red.) war damit zunächst nicht glücklich, er hatte das sanfte französische Ausdämmern lieber. Aber für mich hat dieses Ende eine Turbodynamik, die Zentrifuge wird so noch einmal angekurbelt und ich kann zeigen, wie der Sohn in den Suizid getrieben wird.

Oper steht für starke Gefühle, geht man automatisch von großer Liebe zwischen Don Carlos und Elisabeth aus?

SCHWAB Jede Liebe ist anders, die große problemfreie Liebe gibt es nicht. Was im Leben nicht existiert, darf es auf der Opernbühne auch nicht geben. Rodolfo und Mimi, große Liebe? Nein, Missverständnisse. Intelligente Komponisten zeigen immer die problematische Liebe in vielen Schattierungen. Oft ist Liebe Krankheit oder Projektion von Sehnsüchten. Auch Don Carlos kreist eher narzisstisch um sich und seinen Liebesschmerz und sucht den fatalsten Weg, um sich zu zerstören. Es ist eine Geschichte von Missverständnissen und Minderwertigkeitskomplexen.

Wo sehen Sie vor der Premiere noch Baustellen?

SCHWAB Ich gehe wahnsinnig vom Bild aus und will einen filmischen Sog, da gibt es ästhetisch noch viel zu tun. Die Psychologie zwischen den Figuren ist wichtig, aber sie muss sich bei mir immer zum starken Bild verdichten.

Premiere von „Don Carlos“ am Freitag, 24. Januar, 19 Uhr, im Saarbrücker Staatstheater, Großes Haus. Restkarten gibt es noch unter Telefon (06 81) 3 09 24 86.

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