Zwischen Ambient und Soundcollage Kompositorische Strenge, die nach purem Bauchgefühl klingt
Saarbrücken · Grantig soll er sein, egomanisch, schwierig während des kreativen Prozesses. Hans-Joachim Roedelius selbst sagt über sich: „Ich bin ein sehr störrischer, sehr widersprüchlicher Mensch, meine Frau muss viel aushalten.“ Der Pionier in Sachen elektronischer und avantgardistischer Musik hat seit Anfang der 70er so viele Alben veröffentlicht, dass man sie kaum zählen kann, etwa 1500 Lieder sind bei der Gema gemeldet – zwölf davon sind auf seinem neuen Album „Selbstportrait Wahre Liebe“ zu finden, das der 85-Jährige nun unter seinem Solo-Kürzel Roedelius veröffentlicht hat.
Entgegen seinem Naturell als Grantler präsentieren sich die Songs auch hier ruhig im Aufbau, irgendwo zwischen Ambient-Klängen, Soundcollagen und repetitiven Melodiemustern. Kompositionen wie „Winterlicht“, „Nahwärme“ und „Gleichklang“ funktionieren am besten, wenn man abends auf der Terrasse oder auf dem Balkon bei einer Tasse Tee den Tag Revue passieren lässt. Beinahe heiter kommt „Geruhsam“ daher, das mit einer Kraftwerk-Gedächtnis-Orgelmelodie scheinbar den „Trans-Europa-Express“ besteigen möchte. Demgegenüber finden sich beinahe stehende Lieder wie „Mitgewalzert“ oder „Gerne“, die eine musikalische Idee auf drei Minuten auswalzen. Das beinahe 15-minütige „Aus weiter Ferne“ wiederum kommt wie ein musikalischer Gruß aus einem Paralleluniversum eines Science-Fiction-Epos daher. Anmutig, einfühlsam, überlegt, beruhigend, tiefgehend – und berührt einen so trotz des distanzierten Titels.
Die minimalistischen Piano- und Orgel-Klänge wecken die Lust auf Geschichten, die sich im Kopf abspielen. Trotz der kompositorischen Strenge klingt Roedelius nach purem Bauchgefühl. Der Mann, der bereits mit Granden wie Brian Eno und Llyod Cole zusammenarbeitete, in einem DDR-Gefängnis saß, als Kind in Nazi-Propagandafilmen mitwirkte und mit Kluster/Cluster/Qluster den Krautrock prägte, fügt seinem Œuvre mit „Wahre Liebe“ aus der Selbstportrait-Reihe ein weiteres spannendes Werk hinzu.
Roedelius: Selbstportrait Wahre Liebe (Bureau B)