Sachbuch Reichtum als ein Fluch, der Armut gebiert

Saarbrücken · Der britische Wirtschaftsjournalist Tom Burgis analysiert in einem vorzüglichen Buch die Gründe für die Rohstoff-Ausbeutung des afrikanischen Kontinents.

Die Dauerkrise des afrikanischen Kontinents, die seit Jahrzehnten immer neue Armut, Bürgerkriege und Gewaltregime gebiert, hat vielerlei Ursachen: Heillose Kreptokratien, unterentwickelte Demokratien, willkürliche Staatsgründungen im Nachgang des Kolonialismus, Korruption und nicht zuletzt die von internationalen Konzernen und Regierungen mit begünstigte Rohstoff-Ausbeutung. All das ist lange bekannt. Dennoch reicht die nun von dem langjährigen Afrika-Korrespondenten der britischen „Financial Times“, Tom Burgis, vorgelegte Analyse der Situation in den Subsahara-Staaten Afrikas tiefer als die vieler anderer Publikationen, die ein Gesamtbild des schwarzen Kontinents zu zeichnen versuchen.

Der Wirtschaftsjournalist Burgis konzentriert sich in seiner polemikfreien Aufarbeitung der afrikanischen Verhängnisse auf die Rohstoffgeschäfte. Er zeichnet detailliert nach, inwieweit multinationale Konzerne, afrikanische Potentaten, windige Zwischenhändler wie auch führende Industrienationen gleichermaßen an der Ausbeutung der Bodenschätze verdienen. Zugleich verdeutlicht Burgis, der inzwischen in London ein Team für investigativen Journalismus leitet, weshalb viele Hilfsprogramme und entwicklungspolitischen Konzepte (von der Ankurbelung der Privatwirtschaft über Industrialisierungsprogramme und Militärreformen bis hin zu Bildungsoffensiven) immer wieder gescheitert sind. Die paradoxe, von Burgis vielfältig belegte Grundthese lautet, dass ausgerechnet sein Ressourcen-Reichtum Afrikas größter Fluch ist. So leben 69 Prozent jener Afrikaner, die in extremer Armut leben, einer McKinsey-Studie zufolge in dessen rohstoffreichsten Ländern. Wie ist dieses Paradox zu erklären?

Burgis zufolge begünstigen die enormen Bodenschatzvorkommen (maßgeblich Öl, Erdgas, Gold, Uran, Platin, Kupfer und Diamanten) Korruption und setzen einen ökonomischen Mechanismus in Gang, bei dem das Volk das Nachsehen hat – weil die Regime aufgrund des geringen Steueranteils am jeweiligen Staatshaushalt weitgehend unabhängig von den Regierten agieren können. Ob in Nigeria, Guinea oder Angola nutzen sie die Staatskasse als Selbstbedienungsladen. Schürflizenzen werden an internationale Konzerne vergeben und die im Gegenzug kassierten „Rohstoffrenten“ außer für die Steigerung eigenen Reichtums überwiegend für Sicherung und Finanzierung der eigenen Hausmacht (Militär, Bürokratie und machtstützende Ethnien) aufgewendet. „Die Tatsache, dass die Herrscher der afrikanischen Rohstoffstaaten ohne die Zustimmung der Bevölkerung regieren können, ist der Kern des Ressourcenfluchs.“

Weil einerseits die Erlöse aus dem Rohstoff-Abbau dem Erhalt der eigenen Macht dienen und andererseits die internationalen Profiteure dieser Deals (darunter die Weltbank, Mineralölkonzerne, Banken-Konsortien und mittels Briefkastenfirmen in Übersee-Steueroasen „Steuerminimierung“  betreibende Privatfirmen) nicht in eine weiterverarbeitende Industrialisierung vor Ort investieren, partizipiert die lokale Wirtschaft so gut wie nicht an den Milliardengeschäften. Oft entstehen nicht einmal Arbeitsplätze in nennenswerter Zahl, weil die Rohstoffe sofort außer Landes gebracht bzw. Staaten wie China den Abbau mit aus Fernost importieren Tagelöhnern bestreiten.

„In Afrika“, schreibt Burgis, „hat sich die holländische Krankheit so zu einer chronischen Malaise entwickelt.“ Sprich jener in den 60ern in Hollands Ölindustrie festgestellte Währungsverfall in Folge eines fatalen ökonomischen Teufelskreislaufs: Die durch die Rohstofferlöse sprudelnden Dollarerlöse drücken den Wert der Nationalwährung, sodass Importe sich verbilligen und die einheimische Industrie somit weiter geschwächt wird. Während in Indien, Brasilien oder China nachhaltig in die heimische Wirtschaft investiert wurde, wodurch man industriell zum Westen aufschließen konnte, leiden viele afrikanische Länder trotz kolossalen natürlichen Reichtums (darunter 15 Prozent der weltweiten Rohölvorräte, 40 Prozent der Gold- und 80 Prozent der Platinvorkommen) weiter an jener „holländischen Krankheit“.

Was Burgis’ detaillierte Recherchen vor allem auszeichnet, ist sein Aufdecken der internationalen Verflechtungen des schmutzigen Ausbeutungsgeschäfts. Am Beispiel beteiligter Firmen-Konglomerate in Singapur, Israel, China, Belgien oder den USA verdeutlicht Burgis, dass humanitäre Aspekte entgegen anders lautender öffentlicher Beteuerungen keinerlei Rolle spielen. Während Afrika sein Tafelsilber verschleudert, wird dies zum Teil per Auslandshilfe wieder ausgeglichen, sodass die  Öl- und Bergbauunternehmen – die sich in den Rohstoffstaaten meist breit machten, ehe diese in die Unabhängigkeit entlassen wurden – indirekt noch mit Steuergeldern aus Gebernländern subventioniert werden.

Antworten, wie sich diese Abwärtsspirale umkehren ließe, hat Burgis zwar nicht. Dafür bleibt seine Bestandsaufnahme an Prägnanz wenig schuldig. Im Vorwort schreibt er, dass er sein Buch begann, nachdem er 2010 zusammenbrach und mit posttraumatischen Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert wurde – weil er zu viel Leid gesehen hatte.

Tom Burgis: Der Fluch des Reichtums. Warlords, Konzerne, Schmuggler und die Plünderung Afrikas. Übersetzt von Michael Schiffmann. Westend Verlag, 351 Seiten, 24 €.

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