Literatur Raus aus der Schalheit des Lebens

Saarbrücken · Simon Strauß schreibt mit „Sieben Nächte“ eine Art Manifest der jungen Generation.

 Simon Strauß'  ,,Sieben Nächte"

Simon Strauß' ,,Sieben Nächte"

Foto: Blumenbar/Aufbau Verlag/Cover

„Ich trete den Bettlern ihre Becher weg“, schreibt der Ich-Erzähler, „haue den Musikschülern ihre Wollmützen vom Kopf und spucke den Besoffenen vor dem Bierzelt in die Maßkrüge.“ Da pfeift einer auf jede Rücksichtnahme gegenüber seinen Zeitgenossen. „Ich lache über all die erwischten Schwarzfahrer, von Rauch umhüllten Bratwurstverkäufer und verlorenen Stadtrundfahrer. Ich lache über sie alle.“ Sein Wüten hat einen Grund: Er hat sich bei „strahlendem Vollmond“ von einem Hochhaus „über die Kante schubsen“ lassen. 150 Meter ging es hinab. „Beim Fallen hat mir der Wind scharf ins Gesicht geschnitten, hat mir den Blick und das Bewusstsein geraubt.“ Aber er ist heil angekommen am Seil, an dem er befestigt war. Er weiß nun, was es bedeutet, „ins Nichts zu stürzen, keinen Griff mehr zu haben, keinen Boden, keine helfende Hand“.

Der nächste Mutschritt heißt, in sieben Nächten durch die sieben Todsünden des Christentums zu gehen. Hochmut, Völlerei, Faulheit, Habgier, Neid, Wollust, Jähzorn. Wie bitte? Die Moral des Altertums im 21. Jahrhundert. Warum macht einer so etwas, der 28 ist? Und der Sohn von Botho Strauß, 72, dem Ästheten aus der Uckermark, Autor und Dramatiker. Strauß junior hat Altertumswissenschaften studiert und ist heute Theaterredakteur der „FAZ“. In seinem ersten Buch, dem der Verlag nicht mal die Kennung „Roman“ zubilligte, erzählt er, wie es wirklich um ihn steht. Was ihn und seine Generation umtreibt. „Uns fehlt das Feuer“, heißt es. „Der Mut. Wir ewigen Zweiten.“

In einer Nacht ist der Ich-Erzähler heimlich in eine Bibliothek eingedrungen, hat ein Buch des Vaters gefunden. Klappt es auf und schreibt seinen eigenen Namen hinein. Er steht an einer Schwelle seines Lebens, fragt sich, wer er sein will. Über die Schwelle kommt er nur durch eine Sinngebung für sein Dasein. Er will nicht mehr buckeln vor Lehrern und Professoren. Er will nicht mehr als Partikel im Mainstream mitströmen. „Ich habe Angst vor Eheverträgen und stickiger Konferenzluft“, sagt er. „Vor dem Einschlafen an Gehaltserhöhungen denken . . . Angst vor Gleittagen . . . vorgetäuschten Lächeln . . . dem Lebenslauf.“ Seine jähe Erkenntnis: „Die einzige Sehnsucht, die trägt, ist die nach dem schlagenden Herzen.“

Ein Bekannter hat ihm den Trip eingeredet. Über jede Nacht müsse er sieben Seiten schreiben. Das war Bedingung. Der Ich-Erzähler gesteht seine Angst. Entschließt sich aber: „Heute bin ich nur angeleint vom Hochhaus gesprungen. Das reicht noch nicht.“ Er wagt sich unter Fremde, die er sonst scheut. Er steckt in seltsamen Szenen. Echte und solche, die nur in seinem Kopf stattfinden. Überall trifft er auf die Schalheit des Lebens, auch da, wo sie sich bunt, wild und nackt präsentiert. Er befragt seine Lieblingsdichter. Etwa Beckett: „Was fehlt Ihnen. Das Schöne.“ Er fühlt sich zu spät in die Welt gekommen, hätte gern mit Rilke oder Benn Nächte durch geredet und getrunken. Simon Strauß attackiert seine Altersgenossen. Er will mehr Ernsthaftigkeit. Mehr Politik. Mehr Charakter. Mehr Widerspruch. Mehr Sinnlichkeit. Sein Buch ist ein Manifest seiner Generation.

Simon Strauß: Sieben Nächte. Blumenbar, 144 Seiten, 16 €

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