„Picknick im Dunkeln“ von Markus Orths Der Scherzkeks und der große Grübler
Saarbrücken · Im Roman „Picknick im Dunkeln“ von Markus Orths treffen sich Witzbold Stan Laurel und der Theologe Thomas von Aquin.
Auf die Idee muss man erst mal kommen: Der 1965 gestorbene Arthur Stanley Jefferson (besser bekannt als Stanley Laurel und unvergesslich als der anarchische Part in „Dick & Doof“) begegnet im Jenseits dem 700 Jahre vor ihm gestorbenen mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin. Stan trifft Thomas in einem finsteren Tunnel, von dem nur gewiss ist, dass er sich nicht hernieder auf Erden befindet. Stanley „hatte keine Ahnung, wo er sich befand und wie er hergekommen war“, heißt es schon auf der ersten Seiten von Markus Orths‘ neuem Roman „Picknick im Dunkeln“. Orths schiebt darin alle uns bekannten Gesetze von Zeit und Raum beiseite und entwirft kurzerhand ein Nachleben-Kammerspiel, das es in sich hat.
Zu Beginn irren wir mit Stanley durch eine undurchdringliche Dunkelheit, von der man schnell ahnt, dass sie unsere nicht fassbare, hoffnungslos undurchsichtige, aber womögliche Nachwelt beschreiben soll – eine Art Interregnum, nachdem der letzte Vorhang für uns gefallen, unsere Grube aber noch nicht ausgehoben ist. Irgendwo zwischen Himmel und Hölle (oder in Thomas` Worten „auf dem Weg zum Jüngsten Gericht“) lässt Orths beide, diesen seinen Roman mühelos alleine tragenden Figuren einander begegnen. Während sich Stanley weitertastet und über sein Leben nachsinnt, stolpert er irgendwann über Thomas, der sich zunächst nicht zu erkennen gibt. Um Stanley zu eröffnen, dass sie nach den Gesetzen der Vernunft tot sein müssen: „Sie leben im Jahr 1965. Ich dagegen im Jahr 1273. (….) Ein Mann kann unmöglich durch die Zeit reisen. Ich kann unmöglich mehr als siebenhundert Jahre alt sein. Conclusio: Ich lebe nicht mehr.“ Und Stan also auch.
Orths zeichnet Stanley Laurel (fünfmal verheirateter Witzbold und Atheist) und Thomas von Aquin (Asket und Kirchenlehrer, der das Lachen verlernt hat) als ziemlich gegensätzliche Schicksalsgenossen, die durch eine Röhre aus Finsternis vergeblich ans Licht (der Erkenntnis) drängen und unterwegs philosophische Unterhaltungen über den Sinn und Unsinn des Lebens wie auch den des Glaubens führen. Orths koppelt dieses Setting mit einzelnen Kapiteln, in denen er uns wesentliche Passagen aus Laurels und Aquins Leben näherbringt. Über weite Strecken geht dieses konzentrierte erzählerische Arrangement erstaunlich gut auf. Je länger sie in dem dunklen Zwischenreich, das der Dominikanermönch zwischendurch auch schon mal für die Ewigkeit hält, hin und her wandern, desto mehr nähern sich Stan und Thomas einander an und entdecken einige Gemeinsamkeiten. Nicht zuletzt die Erkenntnis, ihr wahres Ich oft hinter ihren erwünschten Rollen verborgen zu haben.
Dass beide zeitlebens 700 Jahre trennten, tritt im Roman dabei mehr und mehr in den Hintergrund, wenngleich Orths bisweilen situationskomisch daraus Kapital schlägt. Vor allem, wenn Laurel, dessen „Dick & Doof“-Filmen der Roman nebenbei auch noch ein würdiges Denkmal setzt, dem vormodernen Kirchenmann die Errungenschaften der Neuzeit darzulegen versucht. Oder der ganz und gar diesseitig orientierte Laurel dem getreuen Thomas, der sich immer noch im Dienst des Herrn unterwegs wähnt, klarmacht, dass Gott keine conditio sine qua non mehr ist.
Allerdings verliert der Roman aus anderem Grund mit der Zeit etwas seinen inneren Zusammenhalt: Die erzählerischen Exkurse in Laurels und Aquins einstiges Leben lenken, so sehr sie auch im Dienst der schärferen Charakterisierung der beiden Figuren stehen, nicht nur vom eigentlichen Plot ab. Sie zeigen auch, dass sich dieser allein für seinen Schöpfer, den in Karlsruhe lebenden Autor, offenbar als nicht tragfähig genug erwiesen hat. Ein Umherwandeln beider in einem ominösen, sinnlich nicht greifbaren Zwischenreich allein gab, wiewohl von nachdenkenswerten Dialogen Thomas von Aquins und Stanley Laurels begleitet, wohl zu wenig Stoff für einen ganzen Roman ab. Die biografischen Exkurse erweisen sich denn auch häufig eher als Mittel zum Zweck.
Deutlich wird indes, was uns Markus Orths als Kern seiner Versuchsanordnung enthüllen will: Zum einen: Nichts erweitert den Horizont besser als gemeinsam zu denken. Das ist es, was die Schicksalsgenossen Stan und Tommie uns in diesem Roman vormachen. Und zum anderen: Lachen hilft nicht nur angesichts des tödlichen Ernsts der letzten Dinge. Dem neunjährigen Stanley gab dessen Vater – in Stanleys Worten ein „Schlauspieler“, wie auch der Sohn es später einmal werden wollte – einst mit auf den Weg: „Lustig bist du nur, wenn dir nichts peinlich ist!“ Weshalb Stanley seinem einen heiligen Ernst pflegenden Gefährten Thomas, der bisweilen (nicht nur ob seiner Leibesfülle) dann doch etwas von Oliver Hardy hat, auf einem ihrer Gedankenspaziergänge ans Herz legt, die kathartische Wirkung des Lachens nicht länger zu verachten: „Vielleicht ist der Sinn des albernen Lachens der fehlende Sinn. Die Menschen, sie lachen, weil es endlich einmal keinen Sinn geben muss in ihrem Leben.“
Naturgemäß vermag auch dieses Buch die letzten Fragen nicht zu beantworten, es hält sie aber auf äußerst raffinierte Weise produktiv in der Schwebe. Das zu leisten ist für einen Roman nicht eben wenig. Und so gehen denn auch Stan Laurel und Thomas von Aquin am Ende geläutert aus ihrer Begegnung hervor. Eine Begegnung, die etwas von einer Gefangenschaft in einem Zwischenreich hat. „Tommie“ jedenfalls begreift, dass es mehr als nur eine Wahrheit gibt, und findet zuletzt wieder das Kind in sich. Und Stanley erkennt, dass „ein Eckchen Unsterblichkeit“ vielleicht doch nicht alles ist. Sondern Loslassen doch die höchste und schwierigste Kunst.
Markus Orths: Picknick im Dunkeln. Hanser, 238 Seiten, 22 Euro.