„Pessimistisch? Eher realistisch“

Der Musiker der britischen Band Depeche Mode über das neue Album, die Wahlheimat USA und den Brexit.

 Depeche Mode, von links: Andy Fletcher, Sänger Dave Gahan und Martin Gore, der prägende Komponist der meisten Songs. Foto: Anton Corbijn

Depeche Mode, von links: Andy Fletcher, Sänger Dave Gahan und Martin Gore, der prägende Komponist der meisten Songs. Foto: Anton Corbijn

Foto: Anton Corbijn

So düster und bedrohlich wie auf ihrem 14. Studioalbum "Spirit", das in zwei Wochen erscheint, klang die britische Band Depeche Mode - Dave Gahan (54), Martin Gore (55) und Andy Fletcher (55) - wohl noch nie in ihrer über 30 Jahre langen Karriere. Einst begannen sie mit buntem Synthie-Pop ("Just can't get enough"), zuletzt hat sich die Musik zunehmend verdüstert. Wir haben mit dem Songschreiber und Multi-Instrumentalisten Martin Gore gesprochen, der mit Frau und Tochter in Santa Barbara lebt.

Das neue Album beginnt mit "Going backwards", "Where's the revolution" und "The worst crime", drei explizit politischen Songs. Was hat Sie dazu bewogen? Der Brexit? Trump?

Gore Das Album war schon fertig, als Trump an die Macht kam und schon geschrieben, als die Briten für den Brexit stimmten. Ich denke, die Menschheit ist sehr weit abgekommen von ihrem Pfad. Wir haben einiges von unserem menschlichen Geist verloren, wir haben einige wirklich schlechte Entscheidungen getroffen in den vergangenen Jahren, die ich nur schwer verkraften kann.

Woran denken Sie besonders?

Gore Für uns war der Krieg in Syrien ein großes Thema. Wenn wir mit der Arbeit an einem neuen Album beginnen, dann treffen wir uns ja immer erstmal und besprechen in Ruhe, wo wir persönlich so stehen und wie wir die Welt sehen. Wir sind erschüttert, dass die Welt sich einfach zurücklehnt und dieses Abschlachten aus sicherer Entfernung beobachtet. Wir hatten in den 90ern eine ähnliche Situation in Bosnien, aber da gab es wenigstens Versuche der internationalen Gemeinschaft, Frieden zu erreichen. Bei Syrien blieb der Westen untätig. Sehr bewegt hat uns auch die "Black lives matter"-Kampagne. Wie kann es sein, dass schwarze Menschen in den USA reihenweise von der Polizei erschossen werden? Manchmal sieht es für mich so aus, als hätte es in diesem Land nie eine Bürgerrechtsbewegung gegeben.

Ist "The worst crime" unmittelbar von diesem Schrecken inspiriert?

Gore Nicht direkt. Song wie Album sollen eher ein Appell sein, uns zusammenzuraufen und auf unseren Weg zurückkehren. Ich will nicht, dass die neue Platte zu depressiv wirkt, sie soll auch kämpferisch sein - hier und da sogar mit einem Augenzwinkern.

Etwa im Video zu "Where's the revolution", in dem sie unter anderem Marxisten mit langen Bärten darstellen.

Gore Ja, wir haben mehr Humor als auf den ersten Blick sichtbar.

Wo ist sie denn, die Revolution? Warten Sie auf einen Aufstand?

Gore So einen polarisierenden Machthaber wie Donald Trump habe ich in einer Demokratie noch nicht erlebt. Er macht eine Politik, die vernünftige Leuten schlicht für Wahnsinn halten müssen. Und über den Brexit hätte man niemals eine solche Volksabstimmung mit einfacher Mehrheit machen dürfen. Das war ein gigantischer Fehler. Am Ende ging es ja fast 50:50 aus. Die meisten Leute wussten ohnehin nicht, was sie da zu entscheiden hatten.

Ist "Spirit" also das pessimistischste Depeche-Mode-Album bisher?

Gore Das Wort "pessimistisch" mag ich nicht besonders und ziehe den Begriff "realistisch" vor.

Aber wer "Spirit" hört, macht sich danach noch mehr Sorgen um die Welt als vorher.

Gore Das soll er auch, denn die Sorgen sind ja berechtigt.

Selbst am Ende gibt es wenig Zuversicht. Im Finale "Fail" singt Dave Gahan "Oh, we are fucked".

Gore: Das kleine bisschen Hoffnung ist die schöne Instrumentalmusik nach der letzten Textzeile.

Das Interview führte Steffen Rüth.

Depeche Mode: Spirit (Columbia/ Sony). Das Album erscheint am 17. März.

Zum Thema:

Einige Termine der Tournee: Leipzig (27. Mai), Köln (5. Juni), Dresden (7. Juni), München (9. Juni), Hannover (11. und 12. Juni), Frankfurt (20. Juni), Berlin (22. Juni), Paris (1. Juli). www.depechemode.com

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