Nur eines nicht – so werden wie die Eltern

Saarbrücken · 2002 gewann US-Schriftsteller Richard Russo den Pulitzer-Preis für seinen Roman „Diese gottverdammten Träume“. 14 Jahre später erscheint er nun bei uns.

Eigentlich wolle er ja jedes Mal einen kurzen Roman schreiben, erklärte Richard Russo einmal. "Aber dann sehe ich eine Figur und weiß plötzlich, wer deren Vater und Mutter waren, wer der Onkel und die Geschwister, und wie die Freunde aussahen, mit denen sie aufgewachsen ist. Und auf einmal wird aus dem kleinen Bild eine große Leinwand mit vielen Figuren darauf."

Ein Satz, der mitten ins Zentrum von Russos Werk führt. Versteht der 1949 in Johnstown/ New York geborene Amerikaner doch exzellent, seine Figuren aus sich selbst und ihrem familiären Umfeld heraus zu erklären. Mit unterhaltsamen Romanen wie "Diese alte Sehnsucht" (2010) oder dem mit Paul Newman verfilmten "Nobody's Fool" (1994) hat er herausragende Soziogramme geschaffen, in denen die Figuren am Ende immer so werden, wie sie nie sein wollten: wie die Eltern. Jetzt erscheint auf Deutsch sein erfolgreichster Roman "Diese gottverdammten Träume" ("Empire Falls"). Endlich - 2002 erhielt Russo dafür den Pulitzer-Preis.

Miles ist einer dieser tragischen Helden, der auch aus einem Roman von Richard Yates stammen könnte. Schriftsteller oder Literaturprofessor wollte er werden, als er jung war. Jetzt ist er Anfang 40 und steht hinterm Tresen des Empire Grills, der seine beste Tage ebenso hinter sich hat wie das Provinznest Empire Falls. Das College hat Miles geschmissen und ist zurück nach Neuengland gekommen, um seine Mutter zu pflegen. Die hätte ihn dafür verfluchen können. Wollte sie doch immer, dass der Sohn es mal besser habe als sie und aus dem gottverdammten Empire Falls herauskommt. Jetzt ist die Mutter tot, und Miles hat gerade die Scheidung von seiner Ehefrau Jane hinter sich.

So wie einst die Mutter wegen ihm das Städtchen nicht verließ, verharrt jetzt Miles wegen seiner Tochter Tick in Empire Falls und hofft den Diner zu erben, wenn die alte Matriarchin Francine Whiting einmal stirbt. Als Witwe des Fabrikbesitzers C.B. Whiting, der sich eine Kugel in den Kopf gejagt hat, gehört ihr die halbe Stadt. Sie hält alle Fäden in der Hand, ist nirgends beliebt, aber Miles scheint sie gewogen zu sein. War doch sie es, die ihm bei seiner Rückkehr den Job im Diner beschaffte. Liegt es vielleicht daran, dass er am selben Tag geboren wurde wie ihre Tochter Cindy, die als Kind unter ein Auto kam und seitdem behindert ist? Will Mrs. Whiting ihn mit ihrer Tochter verkuppeln? Erst allmählich durchschaut Miles die Zusammenhänge.

Großartig zeichnet Richard Russo das Porträt des Provinzstädtchens, indem er immer wieder Perspektive und Zeitebenen wechselt. Da ist Max, der windige Vater von Miles, der dem eigenen Sohn das Geld aus dem Handschuhfach klaut, um es zu vertrinken. Oder da ist der aufschneiderische Walt, Betreiber eines Fitness-Studios und neuer Lover von Jane, die erst bei der Heirat merkt, dass Walt nicht so reich wie behauptet und vor allem schon 60 Jahre alt ist. Russos Figuren sind so greifbar und lebensecht, dass es eine Freude ist.

Wie Richard Yates oder John Updike in ihren besten Romanen führt Richard Russo die an ihren eigenen Ansprüchen scheiternde Mittelschicht vor. Zu höherem berufen, kann Miles mit seinen Ansprüchen nicht Schritt halten. Wie die Mutter strandet er an den Verhältnissen, aus denen er kommt. Ein beeindruckender Roman, der mit herzerfrischendem Sarkasmus wunderbar unterhält und zugleich tief nachdenklich stimmt.

Richard Russo: Diese gottverdammten Träume. DuMont, 752 Seiten, 24,99 Euro.

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