Kritik zu „Nomadland“ Ist der amerikanische Traum ausgeträumt?

Saarbrücken · Der große Oscar-Gewinner „Nomadland“ von Chloë Zhao führt auf unbekannte Wege in den USA – ab Donnerstag im Saarbrücker Filmhaus.

  Frances McDormand als Fern in einer Szene von „Nomadland“, der mit drei Oscars prämiert wurde.

Frances McDormand als Fern in einer Szene von „Nomadland“, der mit drei Oscars prämiert wurde.

Foto: dpa/-

In Empire, Nevada sind die Lichter aus. Erst schloss die Mine, dann die Zementfabrik, dann zogen die Leute fort. Fern (Frances McDormand) war eine der letzten, die die Stadt verließen. Zuvor hatte sie ihren Van zum Wohnmobil umgebaut und dann den Hausstand eingelagert. Jetzt ist sie unterwegs, arbeitet in Teilzeit, wo sich die Gelegenheit bietet, damit immer genug Geld für Essen und Sprit da ist, und ansonsten ist Fern sich selbst genug. „Ich bin nicht obdachlos, ich bin hauslos“, lautet ihre Antwort, wenn sie auf ihre Lebenssituation angesprochen wird.

Damit sind im Wesentlichen die Claims abgesteckt, innerhalb derer sich der Film bewegt, der die Festival- und Filmpreis-Saison des Coronajahres 2020 dominierte und im Finale die Oscars für Regie, Hauptdarstellerin und den besten Film für sich einstreichen konnte. Es geht um modernes Nomadentum, um Menschen ohne Heimat, oder konkreter – ohne festen Wohnsitz. Es geht um ein Phänomen, wie es in dieser archaischen Form des Auslebens von Freiheit und Selbstbestimmung wohl nur in den USA möglich sein kann. Hier gibt es eben immer noch jene scheinbar endlosen Landstriche, die kaum oder eben auch nicht mehr besiedelt sind. Hier gibt es noch den Pragmatismus und den Solidargedanken, der die Siedler einst gegen die Wucht der Natur und im Kampf gegen die Ureinwohner zusammenschweißte.

Es gibt hier aber auch jene unfassbare Kluft zwischen Arm und Reich, die als logische Folge eines amerikanischen Traums, wo einige Wenige alles und die meisten sonst wenig bis nichts haben, in diesem Film eher unreflektiert bleibt.

Einmal im Jahr gibt es in der Wüste von Arizona mit dem „Rubber Tramp Rendezvous“ ein großes Nomadentreffen. Auf den Hinweis einer Schicksalsgefährtin begibt sich Fern dort hin, trifft auf den Aktivisten Bob Wells, wie er über die kritiklos akzeptierte Tyrannei des Geldes doziert und ansonsten Netzwerke initiiert, um die sozialen, juristischen und finanziellen Belange der Nomaden zu stärken. In diesen Sequenzen besetzte Regisseurin Chloë Zhao tragende Nebenrollen mit Laienakteuren aus der Nomadenszene – hier erreicht der Film eine authentische Kraft, in der Gesichter Lebensgeschichten spiegeln und wenige improvisierte Worte genügen, um ganze Charakterlandschaften zu erschließen.

Hier liegt die Stärke von Chloë Zhao, die ihre Kindheit in China verbrachte, dann mit der Familie nach England übersiedelte und schließlich als Erwachsene in die USA kam, um hier Filmautorin zu werden. Zhaos Blick auf Land und Leute ist also ein Blick von außen. Sie zeigt sich dem Spät-Western des New Hollywood der frühen 1970er Jahre zugetan, wenn sie in Cinemascope-Panoramen das letzte Sonnenlicht des Abends auf purpurne Wolken fallen lässt, während am unteren Bildrand die Protagonistin allein durchs Bild läuft.

Womit ein Problem des Films zum Tragen kommt. Fern ist die Einzelgängerin, die tut, was sie tun muss, die gerne irgendwie dabei ist, aber keinen wirklich an sich heranlässt. „Ich arbeite gern“, sagt sie einmal. Was ausdrücken soll, dass es ihr wichtig ist, dass sie gebraucht wird. In den weniger geschäftigen Momenten schleichen sich Einsamkeit und Perspektivlosigkeit in Frances McDormands Gesicht. Die meiste Zeit sonst rauscht sie geschäftig durchs Bild und setzt dabei eine clownesk anmutende Mimik auf, die unmittelbar dem Spiel Giuletta Masinas in den Fellini-Klassikern „La Strada“ und „Die Nächte der Cabiria“ entlehnt scheint. McDormand verbrachte viel Zeit mit den Nomaden, und man kann sehen, wie sehr sie das spielt.

Was genau nun sagt uns solch ein Film? Man erlebt die Odyssee einer Frau, die verlernt hat, Bindungen einzugehen. Man schaut zu bei der Teilzeitarbeit für Konzerne wie Amazon, Wall Drug oder Western Sugar. „Es ist gut bezahlt“, befindet die Heldin. Und man erlebt das trügerische Idyll einer Gemeinschaft, die eigentlich keine ist, weil jeder seines eigenen Weges zieht. Die innigen Abschiede und energisch gekippten Kurzdrinks sind lediglich folkloristische Chiffren im Geiste der Americana des klassischen Hollywood-Kinos.

Chloë Zhao beobachtet das alles genau und geduldig, aber eine Haltung verrät sie nicht. Ihre Impressionen vom weiten Land und Menschen im Alltag und bei der Arbeit sind ohne Wertung, sie deuten nicht einmal. Ihr Regiestil ist beschaulich, bisweilen anrührend, aber selten aufrüttelnd. Die zentrale Figur bleibt bis zuletzt sich selbst am nächsten, eine tragische Größe ergibt sich daraus nicht. Am Ende trennt sich für Fern das Jetzt von der Erinnerung. Vor ihr liegt einmal mehr die Straße. Wieder ohne Ziel. Hauptsache, der Tank ist voll.

„Nomadland“ läuft ab Donnerstag im Saarbrücker Filmhaus, täglich 17.45 und 20 Uhr. In der Reihe Filmreif läuft am Montag um 15 Uhr die Komödie „Love Sahra“.

  Autorin und Regisseurin Chloë Zhao („The Rider“)

Autorin und Regisseurin Chloë Zhao („The Rider“)

Foto: AP/Taylor Jewell
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