Berlinale „Niemand versteht diese Aufregung“

Berlin · Berlinale-Direktor Dieter Kosslick über die Kritik an seinem Programm, den roten Festival-Faden und seine Zukunftspläne.

 Bis 2019 bleibt Dieter Kosslick Direktor der Berlinale, die in diesem Jahr am 15. Februar beginnt.

Bis 2019 bleibt Dieter Kosslick Direktor der Berlinale, die in diesem Jahr am 15. Februar beginnt.

Foto: dpa/Soeren Stache

Am 15. Februar beginnen die 68. Berliner Filmfestspiele, neben Cannes und Venedig das weltweit bedeutendste Festival, mit über 300 000 Besuchern zudem konkurrenzlos. Seit Mai 2001 leitet Dieter Kosslick (69) die Berlinale. In zwei Jahren läuft sein Vertrag aus. Kritik an seiner Film-Auswahl gab es immer wieder. So massiv wie im November fiel sie jedoch noch nie aus: 79 Regisseure forderten in einem offenen Brief für die Neubesetzung ein transparentes Verfahren, was zugleich als wenig schmeichelhafter Abgesang auf den aktuellen Festival-Direktor verstanden wurde. Mittlerweile ruderten etliche der Unterzeichner zurück, fühlen sich falsch verstanden. Zugleich gab es als Reaktion von den Branchenverbänden unisono entschiedenes Lob für die Arbeit von Kosslick.

Herr Kosslick, die Meuterei auf der Berlinale Bounty scheint gescheitert. Oder täuscht der Eindruck?

KOSSLICK Im Unterschied zur Bounty ist die Berlinale noch vorhanden und nicht gestrandet. Der Kapitän steht keineswegs vor Gericht, sondern ist guter Dinge. Das nächste Festival wird zeigen, dass der Kapitän noch da ist. Ich habe mich schließlich nicht an den Kokosnüssen vergriffen.

Was hat es mit dieser plötzlichen, massiven Kritik auf sich, die 79 Regisseure äußern?

KOSSLICK Gebashed, wie man so sagt, wird ja in regelmäßigen Abständen. Zum Teil von denselben Leuten, die das schon mit meinem Vorgänger Moritz de Hadeln gemacht haben. Es war ein Sturm im Wasserglas, aber diesmal mit großen Worten.

Nehmen Sie die Kritik diverser Kritiker gelassen oder sind Sie enttäuscht?

KOSSLICK Enttäuschend ist vor allem, dass solche Sachen ungeprüft übernommen und zu großen Geschichten aufgebaut werden. Wenn zu lesen war, es habe keine amerikanischen, russischen oder asiatischen Filme auf der Berlinale gegeben, ist das ein Unsinn, der sehr einfach auf unserer Website hätte recherchiert werden können. Unangenehm ist diese Debatte vor allem im Ausland, woher irritierte Anfragen kommen. Niemand versteht diese ganze Aufregung.

Als Reaktion darauf gab es von der versammelten Branche mehr Kosslick-Lob als in Ihrer gesamten Amtszeit. Gleichwohl wollen Sie in Ihrer „Skizze zur Neustrukturierung der Intendanz“ in Zukunft nicht mehr als Präsident einer möglichen Doppelspitze dabei sein?

KOSSLICK Ich habe immer gesagt, mein Vertrag ist am 31. Mai 2019 beendet. Aber zum Einen weiß ich nicht, wie die Berlinale in Zukunft strukturiert wird. Zum Anderen werde ich, falls es eine Doppelspitze mit Direktor und Präsidenten geben sollte, keine dieser Funktionen übernehmen.

Gehen Sie nun umso entspannter an die letzten beiden Berlinale-Ausgaben?

KOSSLICK Zum einen bin ich sehr entspannt. Zum anderen wirft die weltweite #meToo-Debatte ihre Schatten auch auf das Festival. Es gibt Filme, die zurückgezogen werden oder die wir einfach nicht mehr spielen können. Das ist im Moment ein schwieriges Feld.

Nach den Missbrauchs-Skandalen um Harvey Weinstein, Kevin Spacey & Co.: Braucht Hollywood eine Frauenbeauftragte?

KOSSLICK Wenn es danach ginge, was Frauenbeauftragte in Deutschland bislang bewegt haben, sollte man das in Hollywood einführen. Allerdings weiß ich nicht, ob das heute noch die zeitgemäße Form ist. Es gäbe jedenfalls noch viel zu tun, die Filmindustrie weltweit wird bekanntlich nach wie vor von Männern dominiert. Mit der Debatte im letzten Jahr haben die Frauen immerhin ziemlich aufgeholt. Die Sensibilität für diese Themen ist größer geworden – und sie werden sicher auch auf der Berlinale diskutiert werden.

Hierzulande hat man von Skandalen à la Weinstein nichts gehört. Erwarten Sie, dass im deutschen Film da noch eine Zeitbombe tickt?

KOSSLICK Das glaube ich kaum. Ich kenne jedenfalls keine Anzeichen dafür.

Was bewegt die Bären-Kandidaten auf dem kommenden Festival thematisch?

KOSSLICK Viele Filme beschäftigen sich mit Religion. Ein großes Thema ist zudem, wie Menschen Gegenmodelle zu einer Welt entwickeln, die zunehmend apokalyptischere Formen angenommen hat. Der Umgang mit Geflüchteten beschäftigt nach wie vor viele Filmemacher. Neben der Politik bietet die Berlinale zugleich viel Fantasy und Unterhaltung, schließlich möchten die Zuschauer im Kino ganz gerne auch einfach mal nur lachen können.

Cannes möchte die Vorab-Vorstellungen für die Medien künftig abschaffen um mehr Hype zu schaffen. Zudem will man Netflix und Co. vom Festival verbannen. Wie hält es die Berlinale damit?

KOSSLICK Wir bleiben bei unserem System der Pressevorstellungen mit Embargo-Regelung und setzen darauf, dass sie von den Medien eingehalten wird. Unsere Richtlinien sehen vor, dass Filme von Streaming-Anbietern gezeigt werden können, wenn eine Kino-Auswertung vorgesehen ist. Serienformate von Streaming-Plattformen gibt es bereits seit 2015 bei den Berlinale Series.

Zur Berlinale erscheint eine Biografie über Ihren Vorgänger Moritz de Hadeln mit dem Titel „Mister Filmfestival“. Wie würde der Titel einer Dieter Kosslick-Biografie lauten?

KOSSLICK „Gute Zeiten. Schlechte Zeiten. Gute Zeiten“! Ich bin froh, dass Moritz de Hadeln sein Buch präsentieren wird. Dann kann man lesen, welchen Wiederholungseffekt es gibt: Was über mich zum Teil geschrieben wird, hat man meinem Vorgänger schon vorgeworfen. Interessanterweise von einigen derselben Leute.

Auf dem Max Ophüls-Festival in Saarbrücken läuft der Film „Dieter not unhappy“ – wäre das ein passender Berlinale-Film?

KOSSLICK Mit dem Titel würde ich mich auf alle Fälle identifizieren.

Wie sehen die Berufspläne 2020 aus? Eine Herrenboutique in Wuppertal eröffnen, wie der Lottogewinner bei Loriot? Oder eine Bagel-Bäckerei in Neukölln, um Ihrer Back-Leidenschaft zu frönen?

KOSSLICK Ich kann mir beides ganz gut vorstellen.

Die Fragen stellte Dieter Oßwald.

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