Bildende Kunst Nennt es Rührei und weidet Euch daran

Düsseldorf/Saarbrücken · Im Alter von 103 Jahren ist K.O. Götz gestorben, der letzte noch lebende große deutsche Künstler des Informel.

 Pionier der abstrakten Kunst in Deutschland: Unsere Aufnahme zeigt Karl Otto Götz im Februar 2014 an seinem Wohnort im Westerwald.

Pionier der abstrakten Kunst in Deutschland: Unsere Aufnahme zeigt Karl Otto Götz im Februar 2014 an seinem Wohnort im Westerwald.

Foto: dpa/Oliver Berg

Karl Otto Götz’ Frau – die Malerin Rissa, mit der er seit 1965 verheiratet war und seit fast 40 Jahren in der kleinen Westerwald-Ortschaft Niederbreitbach-Wolfenacker lebte – hat die informelle Malerei, für die ihr gestern im Alter von 103 Jahren gestorbener Mann maßgeblich einstand, in Abgrenzung von sonstiger Malerei mit den Worten beschrieben: „Es gibt klassische Formen innerhalb der Malerei, das sind die fest umrissenen. Sie sind wie Spiegeleier in der Pfanne. Und die nichtklassischen (informellen) Formelemente sind Strukturen, Verzahnungen und Passagen der unterschiedlichsten Art. Und alle hängen miteinander zusammen. Das ist dann wie Rührei.“

K.O. Götz, der seit einigen Jahren fast erblindet war und in seiner ganz eigenen informellen Handschrift fraglos zu den bedeutendsten Künstlern seit 1945 galt, war insoweit einer der großen Meister der malerischen Rührei-Zubereitung. Er selbst hat sein Schaffen vor vielen Jahren mit dem Satz „Ich fordere den Zufall heraus“ umrissen. Er tat es, indem er mit Kalkül und Kleister, Kompositionssinn und Kontemplation mit ihm spielte. Götz’ großformatige Gemälde prägte ein wirbelnder Pinselstrich, der mit ungeheurer Energie Form- und Farbcluster auf der Leinwand auseinanderzog, um sie zuweilen vor dem Auge des Betrachters schier explosiv zerbersten zu lassen.

14 Jahre alt war er, als sein Vater ihm eine Staffelei schenkte, gleichwohl aber darauf bestand, dass der 1914 geborene Sohn Textil-Ingenieur werden sollte. Ein paar Semester kam Götz dem väterlichen Wunsch nach, ehe er sich der Kunst verschrieb. Zunächst an der Aachener Kunstgewerbeschule, später dann an Dresdens Kunstakademie studierend, ehe er von 1959 bis 1979 an der namhaftesten deutschen Akademie (Düsseldorf) eine Professur für Freie Malerei inne hatte  und dort unter anderen Gerhard Richter, Sigmar Polke und Gotthard Graubner zu seinen Meisterschülern zählte.

Götz’ eigene künstlerische Sozialisation bewegte sich bereits in den 40er Jahren, beeinflusst von der abstrakten Kunst eines Willi Baumeister, Harald Hartung oder Wols, in Richtung Formauflösung. Nach Kriegsende – nach mehr als einem Jahrzehnt unter dem „Verbrecher Hitler“ (Götz), die er als Luftwaffen- und später Nachrichten-Offizier überstand – bemühte sich Götz als Herausgeber der Kunstzeitschrift „Meta“ darum, im ausgebombten Deutschland wieder ein europäisches Netzwerk bildender Künstler zu verankern. Ein Jahr nach Gründung seiner Zeitschrift wurde er, als einziger Deutscher, Mitglied der legendären Künstlergruppe CoBrA, der unter anderem Pierre Alechinsky, Asgar Jorn, Constant, Corneille und Karel Appel angehörten. Als in den 50ern aus den USA der Abstrakte Expressionismus nach Europa (und Westdeutschland) vordrang, fand Karl Otto Götz hier seine zweite wesentliche Anregung. In einem Interview hat er später bekannt, in seinem eigenen Werk danach „die Schnelligkeit des Malvorganges“ gesteigert zu haben.

Sein künstlerisches Verfahren hatte K.O.Götz Mitte der 50er Jahre längst gefunden. Mit einem Holzschaber (oder „Rakel“, wie Götz sagte) schob, schlug und schleuderte er die zuvor mit dicken Pinseln auf die mit Kleister grundierten Leinwände aufgetragene Farbe (vornehmlich Schwarz und Weiß, sparsamer die Primärfarben Blau, Rot und Gelb) in Sekundenschnelle in schwungvoller Geste über seinen auf dem Boden liegenden Bildträger. Nach und nach hat Götz diesen, seinen Stil vervollkommnet und ihn im Grunde zeitlebens beibehalten – auch wenn in seinem Spätwerk dann auch sporadisch geometrische Bildareale aufzutauchen begannen, um damit einen weiteren abstrakten Kontrapunkt auf der Leinwand zu setzen.

Götz hat immer wieder betont, dass es sich bei der deutschen Informel-Strömung, der neben ihm selbst etwa Gerhard Hoehme, Heinz Kreutz, Bernard Schulze,  Emil Schumacher und K.R.H. Sonderborg zuzuordnen sind, im strengen Sinn nie um eine Künstlergruppe gehandelt habe. Auch wenn die vier Quadriga-Künstler (Götz, Kreutz, Schulze und Otto Greis), die 1952 erstmals gemeinsam in Deutschland ausstellten (in der Frankfurter Zimmergalerie Franck) oftmals als solche gehandelt wurden. Zu seiner Zeit fand der deutsche Informel nur wenig Resonanz. Weder beim Publikum noch bei Sammlern und Galerien. Traten damals doch Pop-Art und Fluxus ihren Siegeszug an, gepaart mit einer stärkeren Politisierung der Kunst, wofür der Informel nun wahrlich nicht einstand. Erst später änderte sich dies, fand dieser Stil die ihm gebührende Aufmerksamkeit, wovon etwa die hervorragende, K.O. Götz einschließende Informel-Sammlung des Saarlandmuseums Zeugnis ablegt.

 K.O.Götz’ Gemälde „8.2.1953“ (Mischtechnik auf Leinwand, 175x145 cm) im Besitz des Saarlandmuseums.

K.O.Götz’ Gemälde „8.2.1953“ (Mischtechnik auf Leinwand, 175x145 cm) im Besitz des Saarlandmuseums.

Foto: Saarlandmuseum

„Bilderverkäufe tröpfelten bis vor wenigen Jahrn nur spärlich“, hat Götz noch 2010 in einem Interview bekannt. Obwohl er seinerzeit bereits geraume Zeit international zu den Großmeistern der Abstraktion zählte. Ein Rakel-Genie, das auf seine Weise malerisch immer wieder auch politisch Position bezog, denkt man an sein als Reaktion auf die Wiedervereinigung entstandendes Werk „Jonction III“ (1990) oder „Menetekel I und II“, die 2008 auf den New Yorker Nineeleven rekurrierten. Als ihm die Neue Nationalgalerie 2014 (und im gleichen Jahr auch das Saarbrücker Saarlandmuseum) anlässlich seines 100. Geburtstages eine große Retrospektive widmete, waren Götz und der Informel lange wieder en vogue, was viel mit der Zeitlosigkeit dieser reinen, alles andere als vordergründigen Kunst zu haben dürfte. Bereits vor 20 Jahren hat Götz zusammen mit seiner Frau eine Stiftung ins Leben gerufen, die ihr Werk über beider Tod hinaus pflegen wird. Gut zu wissen.

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