Nackte Freigeister
Die Welt wird zum globalen Dorf. Im digitalen Zeitalter können Menschen aus den entlegensten Regionen miteinander kommunizieren. Auch etliche junge Filmemacher blicken weit über den Tellerrand hinaus. Mehrere Beiträge des Spielfilm-Wettbewerbs nehmen uns mit auf die Reise - und die filmischen Ausflüge fallen inhaltlich und stilistisch sehr unterschiedlich aus.
In "Die Liebhaberin" stoßen in einem Vorort von Buenos Aires Welten aufeinander. Die alleinstehende Belén (Iride Mockert) findet einen Job als Haushälterin in einer Gated Community. Die umzäunte, bewachte Luxuswohnanlage für reiche Argentinier ist für die schüchterne Frau ebenso Neuland wie das benachbarte Nudisten-Swinger-Camp, das sie zufällig entdeckt, in dem sie offenherzig aufgenommen wird und langsam aufblüht. Doch dann kommt es zu einem Zwischenfall an der Grenze zwischen Camp und Gated Community - und eine Petition zur Schließung des Freigeister-Geländes wird gestartet. Belén gerät zwischen die Fronten. Der österreichische Regisseur Lukas Valenta Rinner erzählt diese Geschichte über Arm und Reich und soziale Spannungen in langen, ruhigen Einstellungen. Als Kontrast setzt er auf eine stakkatoartige, vorwärtstreibende Musik. Und am Ende auf einen heftigen, nicht erwarteten Gewaltausbruch.
Heute, 15 Uhr: CS 1; Mittwoch 20 Uhr: FH; Freitag, 17.30 Uhr: CS 8; Samstag, 17.15 Uhr: CS 4; Sonntag, 13.30 Uhr: CS 5.
Von Mexiko nach Osteuropa. Die Beléns, die hier leben, sind nicht minder arm. In Ermangelung von Arbeit verkaufen sie ihren eigenen Körper. Lidia, Denisa und Vanessa sind drei Frauen unterschiedlichen Alters, die am Rande von Bukarest unter einer hässlichen Brücke Tag für Tag auf der Straße stehen. "Vanatoare" (rumänisch für "Jagd") ist das Langfilm-Debüt der in Rumänien geborenen Berliner Filmhochschülerin Alexandra Balteanu. Der Film kommt über weite Strecken wie eine Dokumentation daher, mit langen Einstellungen, einem ungeschönten Blick, rau und authentisch. Als die drei Frauen von der Polizei kontrolliert und mitgenommen werden, eskaliert die Situation. "Vanatoare" wirft einen desillusionierenden Blick auf ein Land, in dem bittere Armut und Korruption herrschen und viele Menschen ohne Hoffnung und Perspektive dastehen.
Heute, 20.30 Uhr: CS 2; Mittwoch, 22 Uhr: CS 3; Donnerstag, 11.30 Uhr: CS 1; Freitag, 14.45 Uhr: CS 5; So, 17.45 Uhr: FH.
Mit ähnlichen Problemen wie Rumänien hat auch das Nachbarland Bulgarien zu kämpfen. Von gänzlich anderer Machart allerdings ist der Film "Le Voyageur" vom Schweizer Regisseur Timo von Gunten, der größtenteils in dem Balkanstaat spielt. Von öden Plattenbausiedlungen bis zur Einsamkeit auf dem Land erleben hier zwei Menschen eine ungewöhnliche Reise. Eine junge Frau trifft auf ihren verstorbenen Vater, einen berühmten Dirigenten, der sie einst verlassen hat.
Timo von Gunten, dessen Film "La femme et le TGV" im Mittelangen Wettbewerb läuft, hat die Geschichte um Tod und Wiederauferstehung, um Verlust und Trauer in Anlehnung an die Rätsel um die Raumsonde "Voyager" als Ausflug in das Innenleben und die Gedankenwelt einer jungen Frau inszeniert, surreal, geheimnis- und stimmungsvoll. Getragen von den herausragenden Darstellern Gilles Tschudi und Julie Dray mündet diese Geschichte zum Finale mit dem Donnerhall einer startenden Rakete in eine mitreißende Bilderflut zwischen Friedhof, Konzertsaal und Weltall.
Heute, 12.30 Uhr: CS 1 und 22.15 Uhr: CS 5; Mittwoch, 17.15 Uhr: CS 3; Freitag, 21 Uhr: Camera Zwo; Sonntag, 20 Uhr: CS 2.
Dem Titel und einiger kerniger Sprüche ("Wir sind die Galaxie!") zum Trotz ist der Film "Rakete Perelman" fest vererdet und hebt kaum zu Höhenflügen ab. Der Filmtitel ist der Name einer Kommune irgendwo in Brandenburg. Hier versuchen zehn unterschiedliche Menschen ihre Vorstellungen von Freiheit, Glück und Selbstverwirklichung umzusetzen. Neu hinzu gekommen ist vor kurzem die junge Jen (Liv Lisa Fries), die sofort die Hauptrolle in der jährlichen Theateraufführung der Kommune bekommt. Regisseur Oliver Alaluukas hat sieben Jahre in einem freien Theater mitgewirkt und erklärt, dies sei "die schönste und zugleich schrecklichste Zeit" seines Lebens gewesen. Diese Zwiespältigkeit sieht man seinem Film an: Wilde, grelle Szenen mit lauter Musik gehen in knallbunte Comicbilder über, es gibt originelle Kamereinstellungen, aber auch Banales, Selbstbespiegelung, Streitereien und Eitelkeiten.
Heute, 19 Uhr: CS 1; Mittwoch, 10.15 Uhr: CS 5; Donnerstag, 17.30 Uhr: CS 3; Freitag, 20 Uhr: FH; Sonntag, 15.30 Uhr: CS 4.
Vom flachen Land in die Schweizer Berge. Hier ist Lou (Liliane Amuat) zu Hause, inzwischen 28 Jahre alt, und noch auf der Suche nach dem berühmten Platz im Leben. Und sie hat ein Trauma zu verarbeiten, den plötzlichen und tragischen Tod ihrer Mutter. In "Skizzen von Lou" von Lisa Blatter geht es vor allem um Glück - und was das überhaupt sein kann. Zum Beispiel "unter dem Radar zu fliegen", wo man unentdeckt tun und lassen kann, was man will, niemandem Rechenschaft schuldig ist. Oder vielleicht findet man es in einer fernen Stadt wie Katmandu, denn dort will Lou bald mal hin. Doch zunächst sucht die verletzliche junge Frau in Zürich nach Ablenkung, bandelt mit dem Albaner Aro an. Der hat schon viel konkretere Vorstellungen, will auf jeden Fall eine Familie gründen. Als ihr Vater Geburtstag hat, fährt Lou zu ihm in die Berge, wo sie in der grandiosen Natur langsam zu sich findet. Lisa Blatter erzählt das in ruhigen Bildern, mit starken Landschaftsaufnahmen und einer superben Hauptdarstellerin.
Heute, 17.30 Uhr: CS 3; Mittwoch, 10.15 Uhr: CS 5; Donnerstag, 17.30 Uhr: CS 3; Freitag, 20 Uhr: FH; So, 15.30 Uhr: CS 4.
Multikulturell geht es im "Club Europa" von Franziska M. Hoenisch zu. Der spielt zwar in Berlin, doch in der WG, die wir hier kennenlernen, wohnen junge Leute unterschiedlicher Herkunft, darunter nun auch Flüchtling Samuel, der aus Kamerun stammt. Er wird herzlich aufgenommen, fügt sich prima in die Gemeinschaft ein, lernt fleißig die deutsche Sprache - ist also auf dem besten Weg zu einer erfolgreichen Integration. Doch als sein Asylantrag abgelehnt wird, kippt die Stimmung. Wie die Mitbewohner mit ihrer Hilfsbereitschaft an ihre Grenzen stoßen, abwägen müssen, ob sie es riskieren sollen, Samuel weiter zu helfen, wie sie mit ihren Gewissenbissen kämpfen - das schildert die in Zweibrücken geborene Regisseurin überzeugend. Ansonsten kommt dieses Fernseh-Kammerspiel, das ausschließlich in der WG spielt, stilistisch ziemlich brav daher.
Heute, 20 Uhr: CS 3; Mittwoch, 20 Uhr: CS 1; Do, 17.30 Uhr: CS 5; Samstag, 10 Uhr: FH; Sonntag, 17.30 Uhr: CS 8.
Zum Finale des ersten Wettbewerbstages geht es noch einmal zurück nach Brandenburg. Dort spielt "Königin von Niendorf" von Joay Thome. Das ist eine schöne, gut gespielte und liebevoll ausgestattete Geschichte um ein zehnjähriges Mädchen (toll: Lisa Moell) und eine Jungenbande - mit Baumhaus, Floss, Fahrrädern und Versteckspielen im Maisfeld. Ein lupenreiner Kinderfilm, gerade mal 67 Minuten lang, den man in einem Ophüls-Wettbewerb nicht unbedingt erwartet.
Heute, 18.30 Uhr: CS 1; Mittwoch, 12.45 Uhr: CS 5; Donnerstag, 20 Uhr: FH; Freitag, 15.15 Uhr: CS 3; Sonntag, 11 Uhr: CS 2.