Tänzerisches Hoch auf Rock-Musikerinnen Von der Kunst, wie eine Frau zu singen

Saarbrücken · Rasante Nummernrevue „My Ladies Rock“ begeistert im Staatstheater, meditatives Teetassen-Duett zwingt im Theater im Viertel zur Ruhe.

 Nie wieder zweifeln, wie man auf einen Rocksong tanzt: „My Ladies Rock“ setzt Maßstäbe, wenn auch von Laien schwer zu erreichen.

Nie wieder zweifeln, wie man auf einen Rocksong tanzt: „My Ladies Rock“ setzt Maßstäbe, wenn auch von Laien schwer zu erreichen.

Foto: Foto: Staatstheater/Pauline Le Goff

Ein Klaps auf den Hintern unter Frauen, Nippel unter Glitzertops und Songs von Rockröhren, die Hits geschrieben oder eingesungen haben: Mit „My Ladies Rock“ gab es am Sonntag ein breitenwirksames Kaleidoskop durch weibliche Rockgeschichte. Elf Mitglieder der Compagnie Jean-Claude Gallotta aus Grenoble tanzten im Saarländischen Staatstheater auf mal trotzige, mal mutige Songs von Brenda Lee über Janis Joplin bis Tina Turner.

Es war ein beschwingter Abend, der mit musikalischer und tänzerischer Vielfalt Spaß machte. Teils konnten die in Note und Wort gefassten Gefühle, und deren Umsetzung in Bewegung, gar nicht unterschiedlicher sein: Während Marianne Faithfulls Drogenabgesang „Sister Morphine“ durch das ständige Oszillieren von körperlicher Nähe und Distanz der beiden Tanzpartner sowohl erotisch als auch erotisch dramatisch gerät, skizziert die Choreografie, die Gallotta für den Hit „Baby I Love You“ von Aretha Franklin konzipiert hat, eine ganz andere Art von Paarbeziehung. Von dem Paar komplizenhaft verbunden umgesetzt, wohnt der Zuschauer einem starken tänzerischen Miteinander bei, das sich in einer Choreografie der sehr gleichberechtigten Schritte und Figuren manifestiert. Kein Wegstoßen und Klammern, sondern neckende und innige Leichtigkeit.

Die Vielfalt komplett macht das Ensemble zu Joan Baez‘ „Swing Low, Sweet Chariot“, logischerweise weiß gekleidet und bei gedämmten Licht, bevor es mit der deutschen Punkmutter Nina Hagen schrill wird.

Es ist ein fragmentierter Mix, der sich am schnellen Streifen von 14 Songs, deren bloße Gemeinsamkeit die der weiblichen Kreation ist, entlanghangelt und auch auseinander driften könnte. Weil die Choreografien die Rocksongs aber in Tempo, Rhythmus und Thema so treffsicher und zugänglich in Bewegung gießen und die Tänzer das über jeden technischen Zweifel erhaben umsetzen, riß „My Ladies Rock“ sein Publikum zu stehenden Ovationen und lautem Applaus hin.

 So leise, dass man nicht die Stecknadel fallen, sondern feinstes Porzellan klingen hörte, ging es hingegen ein paar Stunden zuvor im Theater im Viertel zu. Kaum mehr als zwei Dutzend Zuschauer wurden dort Zeuge einer der wohl leisesten Tanzvorstellungen überhaupt. Ohne instrumentale Klänge, eingespielte Songs oder Live-Musik gab es mit dem Stück „The Manufactured Series: Duet #2 Made in China“ ein ungewöhnliches Tanzspiel mit Mensch und Alltagsgegenstand: Tilman O’Donnell gab sich ganz dem Bewegungsduett mit einer Tasse und ihrem Untersetzer hin. Der Deutsch-Amerikaner, der 2002 am Saarländischen Staatstheater tanzte, setzte eine Choreographie von Fabrice Mazliah um. Mazliah, seinerseits sieben Jahre Mitglied der Forsythe Company, untersucht in zehn Choreographien eben jenes Verhältnis von Mensch und Objekt. Im Duett Nummer zwei ist das eben ständiges Probieren, ein Ausreizen der Gelenkigkeit und Dehnbarkeit der Arme und Beine, bei dem O’Donnell seinen Körper an den starren Formen der kleinen Porzellantasse misst. Durch Drehen und Wenden auf dem Boden werden Ellenbogen oder Kinn in die Tasse mänovriert, so verrenkt, hebt sich das verschmolzene Mensch-Tassen-Individuum in die nächste Position. Da ist es nur folgerichtig, wenn eine Flüssigkeit dazukommt: Die Tasse unterm Arm, schenkt O’Donnell das Wasser in den Unterteller ein – schön abwegig aus seiner Fußsohle. Immer wieder zu hören dieses helle Klirren, das eine Tasse macht, wenn man sie berührt, oder dumpfes Schleifen von Stoff auf Stoff, oder von Fersen, die auf Holz aufsetzen. Dieses Tassen-Yoga war so meditativ, dass ein Zuschauer gar kurz wegdämmerte.

Keine Frage, die Idee ist originell, und das Stück liefert einige surreale Bilder. Es schwächelt aber bei der Dramatik, wenn die Wasser-Klimax zu spät kommt und dann zu kurz greift. Was man sieht, ist ein für seinen letztendlichen Gehalt überdehntes Solostück. Auch wenn manch einer skeptisch schaute, eines konnte sich O’Donnell aber sicher sein: Er hat die Aufmerksamkeit des Publikums in der Dreiviertelstunde seines Auftritts komplett auf sich gezogen, die Blicke waren gegen jede Ablenkung resistent. Das war in seiner Intensität, die regelrecht eine unüberhörbare Stille erzeugte, eine hoch konzentrierte Erfahrung.

Das Tanzfestival Saar endet heute mit „Danser Casa“ im Theater am Ring, Saarlouis, 19.30 Uhr. Das Stück vereint Akrobatik, afrikanischen Tanz und Hip Hop. Karten unter Tel. (06 81) 3 09 24 86.

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