Zum Tod von Musiker Scott Walker Keine Nostalgie, keine Kompromisse

Saarbrücken · Ex-Popstar, großes Rätsel, Avantgardist – und nicht zuletzt Vorbild in Sachen künstlerisch integre Lebensführung: Musiker Scott Walker ist im Alter von 76 Jahren gestorben.

  Schüchternheit oder Imagepflege? Wenn schon Pressefotos sein müssen (hier für sein Album „Bish Bosch“ von 2012), dann am liebsten ohne Blickkontakt. Ein anderes Bild dieser Zeit zeigte ihn von hinten und unscharf.

Schüchternheit oder Imagepflege? Wenn schon Pressefotos sein müssen (hier für sein Album „Bish Bosch“ von 2012), dann am liebsten ohne Blickkontakt. Ein anderes Bild dieser Zeit zeigte ihn von hinten und unscharf.

Foto: David Evans / 4AD

Er hätte es sich leichter machen können. Aber darum ging es bei Scott Walker nicht. Sonst hätte er seine Pop-Karriere in den 1960ern nicht bewusst abgewürgt; und er wäre in den 1990ern auf den Nostalgie-Zug aufgesprungen, als sein Frühwerk wiederentdeckt wurde. Aber da war Walker, der nun im Alter von 76 Jahren gestorben ist, schon ganz woanders, das Vergangene interessierte ihn so wenig wie künstlerische Kompromisse.

In den 1960er Jahren ist der Mann aus Ohio ein umkreischter Star in England: als Drittel der Walker Brothers, mit schwelgerischen Liebeskummer-Oden wie „The sun ain‘t gonna shine anymore“. Walker singt wie ein junger Gott, doch er leidet am Rummel, schaut lieber Ingmar-Bergman-Filme, liest Camus, hört Jacques Brel. Die Gruppe zerbricht, und Walker nimmt 1967-69 vier einzigartige, schlicht durchnummerierte Alben auf – mit episch orchestrierten Balladen, meist aus eigener Feder, in denen er unter anderem vom Leben in Mietskasernen singt, von Transsexualität, von Depressionen und Tod. Meisterliche Alben – aber das Publikum wendet sich ab, und die Plattenfirma hat kein Interesse mehr an Walkers Ambitionen als Komponist: In den 1970ern besingt er mit Standards lustlos (und alkoholisiert) Alben, deren Wiederveröffentlichung er später zeitlebens verhindert. Da ist Walker gerade mal etwas über 30, ein Mann von gestern, scheinbar am Ende. Ein Comeback mit den Walker Brothers ist kurzlebig – aber erstmals komponiert Walker wieder und zeigt allein mit einem Stück („The electrician“),  wohin seine Reise gehen wird: ins Finstere, Unbekannte. Die Streicher sind noch da, klingen jetzt aber bedrohlich dissonant, und Walker singt von CIA-Folter in Südamerika. Ein großes Aufhorchen seitens der Kritik – doch ein neues eigenes Album legt Walker erst 1984, sechs Jahre später vor: „Climate of Hunter“, schwermütig, textlich rätselhaft.

Danach: elf (!) Jahre Pause, während der Walkers 60er-Alben wiederveröffentlicht und neu entdeckt werden; er aber  scheint verschollen. Mitte der 90er scheint er sich gefangen zu haben, neue Alben erscheinen nun regelmäßig und für Walkers Verhältnisse zügig: im Schnitt alle sechs, sieben Jahre. Werke wie „Tilt“, „The Drift“ und „Bish Bosch“. Harte Brocken allesamt; sie verabschieden sich von festen Strukturen, von klassischer Harmonie, die Texte werden obskur bis zur Unentschlüsselbarkeit. Mancher Rezensent fragt sich, ob Walker nicht mehr ganz bei Sinnen ist – und ob das Ganze nicht ein großer Pseudo-Avantgardequatsch ist, vor dem das Feuilleton reflexhaft in Ehrfurcht erstarrt. Unvergessen dabei ist eine Kritik im deutschen  „Rolling Stone“ zu Walkers Album „The Drift“ von 2006, die als Wertung keine Sterne vergab, sondern das Symbol eines Krankenwagens.

Unbeirrt werkelt Walker in seinen letzten, sehr produktiven und offenbar glücklichen 15 Jahren an seiner Musik, die aufmerksames Zuhören verlangt. Dissonanzen, Stakkato-Schlagzeug, Geräusche, Flirren, Brummen, Eselsschreie, dazu Texte unter anderem über den rumänischen Diktators Ceaucescu, den Ku-Klux-Klan, Astronomie und Attila den Hunnenkönig. Befremdliche, manchmal beklemmende Musik – „uneasy listening“.

Auch einige Filmmusik komponiert Walker, der sich stets enorm für das Kino interessierte: „Pola X“ (1999), „The Childhood of a Leader“ (2016) und zuletzt „Vox Lux“ (2018).

Überraschenderweise lässt er sogar Dokumentarfilmer  bei der Arbeit zusehen, wenn er etwa große Fleischstücke ins Studio bringen lässt, um per Faustschlag einen besonderen Percussion-Effekt zu erschaffen – die Doku „30 century man“ ist ein wunderbarer Einstieg in die verzweigte (Innen-)Welt Scott Walkers. Was er hinterlässt, ist gewaltig: vier der schönsten 60er-Jahre-Alben überhaupt. Und ein reiches, sperriges, lohnendes Spätwerk, mit dem man sich noch lange wird beschäftigen können. Am bestens nachts, im Dunklen, mit Kopfhörer. Ein einfacher Weg war es nicht für Scott Walker; aber gut, dass er nicht anders wollte und konnte.

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