Münchhausens Mundorgel

Hasborn · Die Konzert-Lesung „Die Reisen des Marco Polo“ mit Eva Mattes und Wu Wei in Hasborn bei den Musikfestspielen Saar.

 Eva Mattes und Wu Wei an der chinesischen Mundorgel. Foto: B&K

Eva Mattes und Wu Wei an der chinesischen Mundorgel. Foto: B&K

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Gibt es in Hasborn keine oder nur wenige Chinesen? Das jedenfalls würde die stolze Ankündigung von Tholeys Bürgermeister Hermann Josef Schmidt (CDU) erklären: "Wir haben heute einen echten Chinesen hier". Das "hier" ist die Kulturhalle Hasborn am Dienstagabend, der "echte Chinese" ist Wu Wei, ein Virtuose auf der Sheng, der chinesischen Mundorgel, die mal quäkend, mal seidig klingt, mal über-, mal außerirdisch. Die Musikfestspiele Saar hatten ihn zu einem Konzert/Lesungs-Programm eingeladen.

"Die Reisen des Marco Polo oder: Nichts über China!" heißt es und bietet neben Wu Wei das Ensemble Lautten Compagney und die Schauspielerin Eva Mattes auf. Vor dem Konzert stimmt Festival-Intendant Robert Leonardy - Bürgermeister Schmidt attestiert ihm in seiner Vorstellung einen "Wuschelkopp wie der Struwwelpeter" - das Publikum auf die asiatische Klang-Eigenheit Pentatonik ein; bei der gehe es manchmal flott rauf und runter. Sollte dies als kleine Warnung dienen, ist es unbegründet: Die Zuhörer in der nicht gänzlich gefüllten Halle sind von dem Abend begeistert. Kein Wunder: Musikalisch spannt er einen hohen Bogen zwischen West und Ost, Vergangenheit und Gegenwart, während die lesende Mattes sich im Feld zwischen Sprachwitz und Melancholie, zwischen buntester Reisebeschreibung und feinnerviger Innerlichkeit bewegt. Dass sie keine Originaltexte Polos liest, wird flugs klar: "Mantsche Mantsche Pantsche Hon kon Tsching Tschang" klingt nicht wie ein Reisebrief des 14.

Jahrhunderts, sondern wie das "Chinesische Couplet" von Karl Valentin. Die vorgeblichen Polo-Briefe an die ferne Geliebte sind Fabulierungen des "Nehrkorn Textkombinats" und spielen mit der These, dass Polo gar nicht so weit gereist ist wie angenommen, und dass seine bunten Beschreibungen, halb Münchausen, halb Karl May, auf blühender Fantasie fußen.

Prall sinnliche Texte sind das, wenn es um Moschus-Duft geht oder um die klirrende Kälte, die ein Pärchen an Grashalmen festfrieren lässt; Schlachtengemälde werden entworfen, dann breitet sich tiefe Traurigkeit aus angesichts des Todes zweier Kinder.

So ausdrucksvoll wie die Texte und Mattes' Vortrag ist die Musik. Barock von Monteverdi spielt die sechsköpfige Lautten Compagney, von Francesco Turrini und Salomone Rossi. Mal fügt sich die Mundorgel ins Bild ein, mal zettelt sie ein dramatisches Duell mit dem Percussionisten an, bevor sich der Horizont am Ende gen Osten wendet. Asiatische Melodien fließen (Wu Wei greift auch zur Kniegeige), es wird zunehmend abstrakter, perkussiver, man fühlt sich an die Minimalisten Philip Glass und John Cage erinnert: ein packendes Finale. Dass die Zugabe noch einmal die Brücke zu Karl Valentin schlägt, passt gut zu diesem pfiffigen Abend.

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