Michael Caines Autobiographie "Die verdammten Türen sprengen" Hinfallen ja - liegenbleiben nein!

Saarbrücken · Michael Caine, ein britisches Wahrzeichen wie gebackene Bohnen oder Essig auf Pommes, ist gerade 87 Jahre alt geworden. In seiner neuen Autobiografie blickt er zurück und gibt auch einige sinnige Lebenstipps.

Kein schöner Moment für Michael Caine. Ein neues Drehbuch las er und war maßlos enttäuscht – die Hauptrolle sei doch ziemlich schwachbrüstig, bemäkelte er bei seinem Agenten, bis der ihn aufklärte: Caine solle ja auch nicht die Hauptrolle spielen, nicht den Helden, nicht den romantischen Liebhaber, sondern dessen Vater, die Nebenrolle. Das ließ den indignierten Caine ebenso ins Grübeln kommen wie der Umstand, dass die Zahl der ihm angebotenen Rollen zuletzt deutlich geschrumpft war. Seine Karriere war mehr oder weniger versandet. In den frühen 1990ern war das, der Brite ging auf die 60 zu, trat eine mimische Frührente unter kalifornischer Sonne an und tat das, was man so tut, wenn man bekannt genug ist, dass sich ein Verlag für einen interessiert: Man schreibt seine Autobiografie. „What‘s it all about“ hieß sie, war äußerst lesenswert und erschien 1994, allerdings nicht auf Deutsch.

Immerhin Caines jüngste Memoiren aber sind nun bei uns erschienen und blicken etwas anders, etwas milder auf das Leben als die 26 Jahre alte Autobiografie. Die schrieb schließlich ein Mann in mittleren Jahren, dessen Karriere sich gerade verdunkelte – hier nun schreibt ein 87-Jähriger, dem wider Erwarten nach Karriereknick eine enorme Alterskarriere gelungen ist und der eine enorme Dankbarbeit empfindet für nahezu alles, was er erlebt hat. Caine erzählt nicht chronologisch, sondern hat sein Buch als Ratgeber konzipiert: auf dass die aufmerksamen Leser auch ein so pralles Leben haben können wie er selbst. Mit einer Ehe über Jahrzehnte, mit einem geliebten Beruf und auch mit allerlei Annehmlichkeiten, die hohe Gagen so mit sich bringen.

Zugegeben: Caines Lebenstipps revolutionieren das Genre des Ratgeberbuchs nicht – „Finden Sie, was Sie lieben“ und „Seien Sie bereit, zu versagen“ heißt es da oder auch „Egal, was es ist, geben Sie 100 Prozent“. Geschenkt. Aber im Grunde erzählt Caine einfach mit viel Charme von einer wechselhaften und langen Karriere, während derer er manche Türen sprengen musste: Der Buchtitel „Die verdammten Türen sprengen“ bezieht sich auf eine Szene in Caines 1969er Klassiker „The Italian Job“ (dämlicher deutscher Titel: „Charlie staubt Millionen ab“) und ist in Caines Augen eine schöne Metapher für seine gesamte  Karriere. In ärmlichsten Verhältnissen geboren, „vor einer Million Jahren“ (Caine meint 1933), gesegnet mit einem Cockney-Akzent, der im klassenstarren England für Hauptrollen tödlich ist – aber nicht in den „swinging sixties“, in denen Caine seinen Durchbruch erlebt: als verantwortungsloser Londoner Macho und das, was man einst wohl „Schürzenjäger“ nannte, im Film „Alfie“, der ihn sogar im fernen Hollywood bekannt macht. Da ist der erste Star, den er trifft, John Wayne, der in Cowboykluft und im Hubschrauber hinter dem gemeinsamen Hotel darnieder schwebt und Caine eine dubiosen Ratschlag fürs Leben gibt: langsam reden, mit tiefer Stimme, und möglichst wenig.

Caine ist in diesem Buch etwas diskreter als in seinen ersten Memoiren. Ohne Namen zu nennen, beklagt er sich hier über einen gelangweilten US-Regisseur, der nur noch arbeitet, um sein teures Hobby des Hochseefischens zu finanzieren. Im früheren Buch war Caine darüber bereits erbost, aber er nannte auch den Namen: John Sturges („Die glorreichen Sieben“), der mit Caine 1976 den Kriegsfilm „Der Adler ist gelandet“ inszenierte. Ein anderer Name, der im neuen Buch ebenfalls im Dunkeln bleibt, ist der eines US-Stars, der bei Dreharbeiten aus reinem Trotz, da er mal ein paar Minuten warten musste, sich regelmäßig in seinen Wohnwagen verzieht, um nun alle anderen warten zu lassen und seine Macht zu demonstrieren. Hier schweigt Caine, im alten Buch aber nicht: Sylvester Stallone war der Rüpel, bei den Dreharbeiten zu John Hustons bizarrem Weltkriegs-Fußballfilm „Flucht oder Sieg“ von 1978. Dass Caine im aktuellen Buch Stallone an anderer Stelle als „guten Freund“ bezeichnet, spricht für eine gewisse Altersmilde.

Demonstrativ zu spät kommen, seine Macht zeigen, in der Hierarchie nach unten treten – davon rät Caine ab. Es scheint, er schämt sich heute noch für einen Wutanfall: Beim Mittelalterfilm „Das vergessene Tal“ (1971) kam er mit seinem Filmpferd nicht zurecht und reagierte mit einem oscarreifen Tobsuchts-Auftritt. Nach einer kühlen Zurechtweisung des Regisseurs, der einen solchen Gesichtsverlust unverzeihlich fand, entschuldigte sich Caine bei allen Beteiligten (wenn auch nicht beim Pferd).

Was erfährt man noch? Dass Caine klar ist, wie viele miese Filme er gedreht hat („Der weiße Hai IV“ etwa) – die ihm aber einen heimischen Swimmingpool oder ein Haus für die Mama finanziert haben. Dass Alfred Hitchcock ihn mit theatralischer Nicht-Achtung strafte, nachdem Caine das Rollenangebot als Frauenmörder in „Frenzy“ abgelehnt hatte, weil er die Figur zu grausig fand. Dass er so wenig Talent für Golf hat, dass ein frustrierter Sean Connery, ein ambitionierter Großgolfer, nach einer vergeblichen Übungsstunde mit ihm in Rage einen Golfschläger zerbrach. Und dass Caine seinen Agenten gewechselt hat, nachdem der ihn zu der Rolle als Bösewicht in einem grässlichen Steven-Seagal-Film überredet hatte. 

Auch das Alter ist ein Thema, zumal Caine sich jüngst in einem Restaurant den wenig schmeichelhaften Satz „Scheiße, ich dachte, sie wären mindestens 100“ anhören musste. Geburtstagsfeiern werden seltener, Krankenhausbesuche und Beerdigungen dagegen regelmäßiger, „der feste Kern wird kleiner und kleiner“. Caine versucht, so kurz zu trauern wie möglich, „sonst müsste ich ertrinken. Also tauche ich schnell wieder auf und schnappe nach der frischen Luft der Lebenden.“

Melancholie zieht sich da durch das Buch, vor allem aber Dankbarkeit für ein erfahrungsreiches Leben und für eine Karriere, die immer noch nicht zu Ende ist; nicht zuletzt dank eines britischen Regisseurs, der ihn einst im Garten mit einem Drehbuch besuchte und ihn überzeugte, dass die Rolle des Butlers, nicht des Helden, eine gute Sache sei: Christopher Nolan bot ihm 2004 eine Rolle in „Batman Begins“ an, machte Caine so einem neuen jungen Pulikum bekannt und besetzte ihn danach in jedem seiner Filme (in „Dunkirk“ war er nur zu hören); auch im jüngsten, „Tenet“, ist Caine dabei und gab gerade zu Protokoll, dass er keine Ahnung hat, worum es in dem Film eigentlich geht.

Dampft man Caines Lebenstipps im Buch ein, bleibt vor allem ein herzhaftes „Einfach weitermachen“, Hinfallen ist legitim, Liegenbleiben nicht. Wem das etwas zu vage ist, für den hat Caine auch Praktisches zur Hand: Reisetaschen rechtzeitig packen, zwei Wecker statt einem benutzen – und bei Kuss-Szenen ein Mundspray dabei haben.

 Die Buchhülle mit einem lässigen Caine aus den swingenden Sixties.

Die Buchhülle mit einem lässigen Caine aus den swingenden Sixties.

Foto: Alexander Verlag

Michael Caine: Die verdammten Türen sprengen – und andere Lebenslektionen. Aus dem Engl. von Gisbert Haefs und Julian Haefs. Alexander Verlag, 309 Seiten, 24 Euro.

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