Mein Opa, der Mörder

Zwei junge Holocaust-Forscher – er der Enkel eines SS-Offiziers, sie die Enkelin einer ermordeten Jüdin – prallen mit unterschiedlichen Lebensideen frontal aufeinander. Regisseur und Autor Chris Kraus („Vier Minuten“) erzählt in „Die Blumen von gestern“ eine originelle romantische Komödie, die auf seiner Familiengeschichte fußt. Darüber hat er mit SZ-Mitarbeiter Martin Schwickert gesprochen.

 Eine nicht ganz einfache Romanze unter Holocaust-Forschern: Lars Eidinger als Tito, Adèle Haenel als Zazie. Foto: Piffl Medien

Eine nicht ganz einfache Romanze unter Holocaust-Forschern: Lars Eidinger als Tito, Adèle Haenel als Zazie. Foto: Piffl Medien

Foto: Piffl Medien

Wie weit ist der Film mit Ihrer eigenen Familienhistorie verbunden?

Kraus: Vor 16 Jahren habe ich erfahren, dass mein Großvater im Zweiten Weltkrieg in den SS-Einsatzgruppen im Baltikum aktiv war. Diese Todesschwadronen waren hinter der Front für die Ermordung zahlreicher Juden und anderer "Rassegegner" verantwortlich. Danach erforschte ich meine Familiengeschichte zur Zeit des Nationalsozialismus. Es war erschreckend, welche irrsinnigen Geschichten nur allein in dieser einen Familie passiert sind. Am Ende hat die Arbeit fast zehn Jahre in Anspruch genommen. Die Ergebnisse habe ich in einem Buch für meine Kinder festgehalten.

Was hat sich für Sie und Ihre Familie durch diese Forschungsarbeit verändert?

Kraus: In meiner Großfamilie ist einiges in Bewegung geraten. Vieles, was lange im Verborgenen blieb, wird nun recht offen besprochen. Dinge, die man zu kennen glaubte, sieht man neu. Einfach nur, weil die Scheinwerfer ein bisschen verstellt wurden. Dafür plädiere ich auch mit dem Film: sich den verstörenden Widersprüchen der eigenen Familiengeschichte zu stellen.

Aber in "Die Blumen von gestern" blenden Sie nicht zurück in die Vergangenheit, sondern erzählen eine humorvolle Liebesgeschichte zwischen dem Enkel eines SS-Mörders und der Enkeltochter eines Holocaust-Opfers. Warum haben Sie sich für diesen Ansatz entschieden?

Kraus: Weil er sich mir persönlich nahezu aufgedrängt hat. Während meiner Familienforschung habe ich in den Archiven Enkel von Holocaust-Opfern aus Deutschland, Israel und vielen europäischen Ländern getroffen. Sie kamen auf mich, den Enkel eines NS-Täters, überraschend unverkrampft zu. Das war sehr direkt, nicht konfrontativ, sondern einfach offen. Es wurde auch gelacht. Gleichzeitig spürte ich bei mir immer eine gewisse Verlegenheit. Diese irritierende Mischung von Schmerz und Leichtigkeit hat mich in die Geschichte getrieben.

Sexualität nimmt in dem Film einen großen Raum ein. Ist sie das komödiantische Gegengift zur Verkopftheit der Hauptfigur?

Kraus: Nein, das ist schon auch ernst gemeint. Diese Menschen befassen sich als Holocaust-Forscher jeden Tag mit Tod und Gewalt. Ich wollte aber auch das Leben zeigen oder besser: das Lebendige. Und das geht am besten über die Liebe und noch archaischer über die Sexualität.

Ist unsere Gedenkkultur zu sehr von Denkverboten bestimmt?

Kraus: Ich denke schon. Genau diese Erkenntnis war der Beginn für diesen Film. Zwar weiß jeder, dass die Nazis furchtbare Dinge getan haben, aber mit einem selbst hat das in der Aufarbeitung eigentlich nie etwas zu tun. Als wären die Nazis aus den Weiten des Weltraums gekommen. Das versuche ich auf ambivalente Weise im Film zu verarbeiten. Ich habe ja selbst lange Zeit nie nachgeforscht, was mein Opa wirklich getan hat. Es war für mich völlig ausgeschlossen, dass dieser wunderbare, humorvolle Mensch damit etwas zu tun haben könnte. Das bringe ich auch heute noch nicht ganz zusammen.

Ab morgen in der Camera Zwo (Sb); Kritik morgen in unserer Beilage treff.region.

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