Mehr Mensch, weniger Gott

Bayreuth · Eine religionskritische Version des „Parsifal“ hat die Bayreuther Festspiele eröffnet. Das Publikum feierte Regisseur Uwe Eric Laufenberg, den kurzfristig eingesprungenen Dirigenten Hartmut Haenchen und die Sänger um Klaus Florian Vogt.

 Klaus Florian Vogt als Parsifal, umringt von Anna Siminska, Katharina Persicke, Alexandra Steiner, Bele Kumberger und Ingeborg Gillebo (v.l.) als Klingsors Zaubermädchen. Foto: Festspiele/Nawrath/dpa

Klaus Florian Vogt als Parsifal, umringt von Anna Siminska, Katharina Persicke, Alexandra Steiner, Bele Kumberger und Ingeborg Gillebo (v.l.) als Klingsors Zaubermädchen. Foto: Festspiele/Nawrath/dpa

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Dieser "Parsifal" war von Anfang an ein Sorgenkind. Erst wurde der vorgesehene Regisseur ausgetauscht, der Auftrag ging von der Risiko-Personalie Jonathan Meese an den Nummersicher-Routinier Uwe Eric Laufenberg. Dann kam der Dirigent Andris Nelsons aus dem Heimatkurzurlaub nicht zurück, drei Wochen vor der Premiere. Doch dieser Schrecksekunde folgte ein Coup: Der bei Wagnerianern hoch im Kurs stehende Dresdner Hartmut Haenchen (73) übernahm und übertrug seine bewährte Parsifal-Lesart in das Haus, für das Wagner sein Bühnenweihfestspiel speziell komponiert hat.

Mit seinen Tempovorstellungen, einem akribischem Quellenstudium und eigenem Orchestermaterial folgt er Wagners Intention und vertreibt die wallenden Weihenebel, die die Nachwelt über das Stück gelegt hat. Haenchen hat die Tücken der Festspielhaus-Akustik nach nur wenigen Proben im Griff. Er bietet genau den schlanken, transparenten Klangzauber, der auch den großen Ton (besonders in den Verwandlungsmusiken) nicht unterschlägt. Aus dem exzellenten Protagonistenensemble ragt Georg Zeppenfeld in der Monsterpartie des Gurnemanz mit einer referenzverdächtigen Eloquenz und stimmlichen Präsenz heraus. Natürlich ist Klaus Florian Vogt ein Parsifal von betörendem Schmelz. Bei Elenea Pankratovas Kundry bedauert man, dass sie im Dritten Aufzug nichts mehr zu singen hat. Als Amfortas gelingt Ryan McKinny in der Leidenspose des Heilands einer der auch szenisch berührenden Momente. Musikalisch bewegt sich dieser neue "Parsifal" also zwischen grandios und mindestens festspielwürdig. Man sollte aus der Dirigenten-Notlösung eine "Parsifal"-Dauerlösung machen.

Laufenbergs Inszenierung ist gelungen, seine Schlusspointe sitzt. Da kommt Parsifal im aufgeklärten Zivil zurück in den arg lädierten sakralen Raum, den Gisbert Jäkel einer nahöstlichen Kirche nachempfunden hat, entsorgt das Kreuz, das er am Ende des Klingsor-Aktes aus dem Speer der Gralshüter gebastelt hatte, im offenen Sarg mit der Asche Titurels; alle plötzlich versammelten Vertreter von Christen, Juden und Moslems tun es ihm mit den Insignien ihres Glaubens nach. Mit dieser großen utopischen Geste entschwinden der Raum und seine Geschichte, und den Menschen geht das Licht des Grals (als Licht der Vernunft?) auf. Und vielleicht ist die rätselhafte Gestalt, die von oben dem Geschehen zusah, der befreite Mensch, der in den Brunnen der Vergangenheit und auf seine Vorgeschichte schaut?

Laufenbergs Kölner Konzept wirkt hier im Vergleich mit den beiden Vorgänger-Inszenierungen als Theater etwas zu klein gedacht. Flüchtlinge im beschädigten Kloster, das von Soldaten in Kampfmontur geschützt wird? Das ist dringlicher gedacht als umgesetzt. Die Videokamerafahrt vom Gralsgefäß durchs Kirchendach in die Google-Earth-Perspektive auf das gebeutelte Zweistromland und dann in die Unendlichkeit und zurück - das landet ästhetisch zwischen "Unendliche Weite" und Bildschirmschoner. Klingsor (Gerd Grochowski) ist der Herr über ein hübsch gekacheltes Hamam, die Blumenmädchen wirken wie personifizierte Islamklischees. Klingsor hat eine Sammlung von Kruzifixen, vorsorglich auch einen Gebetsteppich, aber offenbar keine Ahnung, in welcher Richtung Mekka liegt. Wenn Parsifal den Speer einfach wegnimmt und nur Klingsors Kreuzesammlung aus dem Rahmen fällt, dann hat Parsifal Glück, dass ihn ein verspätetes Kreuz nicht trifft. So etwas hätte in einer Kölner Ersatzspielstätte sicher seine Wirkung gehabt. Hier war es unfreiwillig komisch. Vor allem das grandiose Schlussbild bewahrte den Regisseur dann wohl vor Publikumskritik. Die Wagner-Gemeinde war mit berechtigtem Jubel zu beschäftigt.

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