Lesung in Saarbrücken Geschickt montierte Erinnerungen

Saarbrücken · Marie Modiano, französische Schriftstellerin, Singer/Songwriterin und Schauspielerin, stellt morgen ihren zweiten, gerade ins Deutsche übersetzten Roman „Ende der Spielzeit“ in Saarbücken vor – in der Literaturreihe „Böll & Hofstätter“.

„Schauspieler vermögen ihre Ängste und Sorgen nicht zu relativieren. Auch wenn diese durchaus real sind, erscheinen sie mir belanglos, verglichen mit denen von Menschen, die täglich eine endlose Fahrt zu einer aufreibenden Arbeit auf sich nehmen müssen.“ Dennoch wird Valentine vom vermeintlich privilegierten Theatergeschäft über die Jahre aufgerieben. Der Leser begibt sich zusammen mit der 19-jährigen Novizin und ihrer Theatergruppe um den international bekannten Theaterregisseur Haens Brugge auf Tournee durch die einschlägigen Häuser Europas. 20 Jahre später reflektiert Valentine, die mittlerweile als Chanteuse durch die Provinz tingelt, ihren künstlerischen Werdegang – verlassen, desillusioniert und dennoch weiterhin dem Theater verbunden.

Die Tochter des Literaturnobelpreisträgers Patrick Modiano verwebt in ihrem zweiten Roman geschickt die verschiedenen Erinnerungsfäden der Protagonistin zu einem komplexen Geflecht, in dem die Brüchigkeit der eigenen Existenz und des eigenen Erinnerungsvermögens durchscheinen. Die Spannung dieses leisen Werkes entspringt der genuinen Ambivalenz aus einfacher Sprache und den geschickt montierten Erinnerungsschleifen, die entweder aus der erlebenden Ich- oder der sich vergegenwärtigenden auktorialen Perspektive geschildert werden, um die Unzuverlässigkeit der eigenen Erinnerung auszuloten. „Ich bin mir jetzt schon bewusst, dass gewisse Momente im Leben nur dazu dienen, sich fast sofort in Erinnerung zu verwandeln. Würde man versuchen, sie auszudehnen, verlören sie ihren Wert.“, bekennt Valentine.

Die sich über die Zeiten auffächernde, vage Erzählinstanz trägt diesem Umstand in ihren holzschnittartigen Minimalschilderungen des „womöglich so Gewesenen“ Rechnung. Die Flüchtigkeit ihrer Liebschaften erschöpfen sich in ein bis zwei Sätzen – Details? Fehlanzeige! Valentine fühlt sich fremd, weil „ich im Grunde genau weiß, dass ich nie zu irgendetwas gehört habe, zu keiner Gruppe, keiner Clique, zu keinem Land.“ So nimmt es nicht Wunder, dass Valentines große Liebe zu einem amerikanischen Musiker – der zum gefragten Romanautor avanciert, daran zerbricht und spurlos verschwindet – mit keinen Namen bedacht wird. Gegen Ende des Romans lässt uns die auktoriale Erzählinstanz wissen, „dass in den letzten Jahren kein Jahr vergangen sei, ohne dass sie an ihn gedacht habe, doch dass sie jetzt mehr oder weniger geheilt sei von dieser ganzen Traurigkeit und akzeptiere, dass er zu ihrem Leben gehöre, ohne dass sie sich am selben Ort aufhielten.“

Marie Modiano wird neben ihrem Roman einige ihrer Songs in Saarbrücken präsentieren, an der Gitarre begleitet von Peter von Pöhl. Tilla Fuchs vom Saarländischen Rundfunk moderiert die Veranstaltung, die deutschen Textpassagen liest Katharina Bihler (Liquid Penguin Ensemble).

Marie Modiano: Ende der Spielzeit. Aus dem Französischen von Gabriela Zehnder. Rotpunktverlag, 176 Seiten, 22 Euro.
Lesung mit Musik: Dienstag (20 Uhr) im Saarbrücker Filmhaus in der Reihe „Böll & Hofstätter“ in Kooperation mit „SR2-KulturRadio“.

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