Chinesisches Nationalballett Magnetismus zwischen den Körpern

Saarbrücken · Verblüffend vielfältig präsentierte sich das Chinesische Nationalballett in Saarbrücken und eroberte die Herzen der Zuschauer.

 Höhenflüge: Das Chinesische Nationalballett begeisterte am Samstag in der Saarbrücker Saarlandhalle.

Höhenflüge: Das Chinesische Nationalballett begeisterte am Samstag in der Saarbrücker Saarlandhalle.

Foto: BeckerBredel

„Ach, Nurejew und Margot Fonteyn, das war noch richtiges Ballett“, pflegte Schwiegermama aufzuseufzen, wenn sie einmal mehr über die „Zumutungen“ des modernen Tanztheaters räsonierte, um dann irgendwann bei Nijinsky und Balanchine zu landen. Nun, ihr wäre die Gala des Chinesischen Nationalballetts gewiss Balsam auf eine ästhetisch wunde Seele gewesen. Zumindest in Hälfte eins des Abends. Was da nämlich aus Fernost, den Musikfestspielen Saar sei Dank, in die Saarlandhalle tanzte, war beinahe wie eine Wiederbegenung mit den „balletts russes“ und ihren Erben. Wie aus der Prachtvitrine eines Tanzmuseums entnommen. Funkelnd und aberwitzig kunstvoll – als wär’s ein Fabergé-Ei. Zum Teil sogar noch in einer Choreographie des großen Nurejew: die orientalischen Momente aus Tschaikowskys „Nussknacker“ als flirrender Schleiertanz. So exotisch-hocherotisch, dass man kaum glauben mag, dass just das Nationalballett der Volksrepublik solche Dekadenz serviert. Kurios genug: In den 1950ern erst etabliert., kam bald danach schon die Kulturrevolution auch über Chinas Vorzeige-Compagnie. Doch allen Säuberungen zum Trotz tanzte man weiter auf Spitze, überdies noch geschult von russischen Choreographen, die selbst das ach so „bourgeoise“ Ballett durch den Kommunismus retteten.

Natürlich konnte und kann Chinas Paradetruppe auch ganz auf Parteilinie tanzen; das „rote Frauenbataillon“ gilt als einer ihrer Klassiker mit dem Prädikat „maoistisch besonders wertvoll“. Die heute rund 70 Profis rekrutieren sich zudem aus einem unfassbar großen Fundus, sind bestens ausgebildet, etliche überdies Artisten und mit Kampfkünsten vertraut. Entsprechend perfektionierten sie ihre Technik, Präzision und Synchronität liefern sie quasi selbstverständlich. Zu Xian Xinghais „Gelbem Fluss“ legen sie denn Sprungbahnen auf die Bühne, dass man sich die Augen reibt – auch über ihre Pirouettenleistungsschau und dieses letztlich doch seelenlose Kraftballett.

Doch China ist auch ein modernes Land, das längst wieder seine großen Traditionen pflegt, zugleich aber auch westliche Kultur gierig aufsaugt und manchmal sogar neu definiert. Was das dann bedeuten kann, zeigt das Nationalballett etwa im harten Rhythmus von Elektrobeats, ein kühl urbaner Reigen, in dem Männer und Frauen sich anziehen und abstoßen. Als treibe sie elektrische Ladung. Oder ein Magnetismus zwischen den Körpern. Rau, auch fast schon gewalttätig wirkt dies, aber dann auch wieder zart. Grandios getanzt all das – und mit enormer individueller Zeichnung. Freilich, auch einen Klassiker von Roland Petit, dem französischen Meisterchoreographen, erobert das Nationalballett für sich. Die bittersüße Geschichte des Mädchens aus Arles und seines tragisch endenden Freundes (“L’Arlésienne“), tanzen sie so ausdrucksstark, so innig, als wäre diese Choreografie für sie allein gemacht. Und man fragt sich eigentlich nur noch: Was können sie eigentlich nicht?

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