Lesung in der Saarbrücker Garage Wenn Sarah Kuttner will, dass es weh tut

Saarbrücken · Selten hat man so eine brutale Wendung erlebt bei einer Lesung: Zunächst schildert die ehemalige TV-Moderatorin Sarah Kuttner die eher banale Geschichte einer Patchwork-Familie aus Sicht der Freundin eines Mannes mit Kind.

Das Paar zieht von Berlin aufs Land in ein gemeinsames Haus und durchlebt dort Alltagsprobleme wie „kann man noch geräuschvoll Sex haben?“ oder „was tun, wenn die leibliche Mutter andere Auffassungen vom Gender Mainstreaming hat als man selber?“. Lange plätschert die Lesung in der Saarbrücker Garage so dahin – ja, ganz nett und amüsant zu hören, dass das Paar unbedingt in jedem der neuen Räume Sex haben will oder wie der sechsjährige Sohn um seine Milchzähne trauert, weil er glaubt, es kämen keine mehr nach.

„Jetzt wird es etwas ernster“, warnt Kuttner dann in einer Erzählpause und wartet vorsorglich ab, bis eine Zuhörerin wieder zurück von der Toilette kommt. Denn dann fällt das Kind vom Klettergerüst und ist tot. Statt die ganz nette, humorvolle, aber doch etwas flache Patchwork-Geschichte weiter zu erzählen, schickt Kuttners Roman „Kurt“ (Vater und Sohn tragen diesen Namen) den Leser, beziehungsweise die etwa 120 Zuhörer, in den tiefsten Abgrund. Da wird auch die Stimme der 40-jährigen Autorin brüchig, als sie das grauenvolle Weiterleben ihrer Ich-Erzählerin und des verwaisten Vaters erzählt. „Kühle Mechanik“ sei dies nur noch, „essen, trinken, schlafen“.

Das Saarbrücker Publikum ist auch zunächst wie versteinert, als die Lesung bereits nach gut einer Stunde endet. Nach und nach kommen aber Fragen. In den letzten vier Jahren seien fünf Menschen in ihrem näheren Umfeld gestorben, gibt Kuttner preis. Den Anfang des Romans habe sie länger liegen lassen, die Patchwork-Geschichte sei ihr zu langweilig vorgekommen, also ließ sie die jüngste Romanfigur sterben. „Ich mag es gerne, wenn es weh tut, das ist echter.“ Natürlich habe sie als Kinderlose Angst gehabt vor Reaktionen wie „was weiß die schon darüber!“. So etwas in dieser Richtung sei auch nach Erscheinen des Romans passiert.

In der Fragerunde tauen die Zuhörer langsam wieder auf, und auch Sarah Kuttner verwandelt sich langsam zurück in die burschikose Berlinerin mit dem frechen Humor, als die sie auf die Bühne gekommen ist. Dann will sie aber nach hinten, denn: „Jetzt muss ich eine rauchen!“.

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