Kino Leben träumen, Träume leben

Saarbrücken · Die ungarische Regisseurin über ihren Berlinale-Siegerfilm „Körper und Seele“, der in Saarbrücken anläuft.

 Endre (Géza Morcsányi) träumt schon den gemeinsamen Traum von Hirschen im Wald, Mária (Alexandra Borbély) ist noch wach.

Endre (Géza Morcsányi) träumt schon den gemeinsamen Traum von Hirschen im Wald, Mária (Alexandra Borbély) ist noch wach.

Foto: Alamode Film

Eine Liebe, die im Schlachthof beginnt. Dort begegnen sich die junge Budapesterin Mária und der etwas ältere Endre und entdecken, dass sie jede Nacht denselben Traum haben. „Körper und Seele“ von Regisseurin Ildikó Enyedi (61), der Berlinale-Sieger dieses Jahres  fesselt als völlig unsentimentale Studie zweier  schüchterner Menschen.

Ein Schlachthaus als Kulisse für eine Liebesgeschichte – wieso das?

Enyedi In einem Schlachthaus sind Körper und Seele auf eine sehr dramatische Weise präsent. Es war für mich und die Crew eine prägende Erfahrung, an diesem Ort zu drehen. Damit meine ich nicht nur den Prozess des Tötens der Tiere, der hier maschinell betrieben wird, sondern vor allem die Atmosphäre in den Gattern, in denen die Tiere warten.  Sie stehen dort 24 Stunden, bevor sie geschlachtet werden, in aller Stille zusammen. Ich war mir sicher, dass die Tiere wissen, was auf sie zukommt. Man sieht es in ihren Augen und an ihrer Körpersprache.

Ist der Schlachthof in Ihrem Film auch ein metaphorischer Ort?

Enyedi Zunächst einmal ist ein Schlachthof ein ganz normaler Arbeitsplatz. Er zeigt jedoch die kaum auszuhaltenden Ex­treme, auf denen unser Leben aufbaut. Um diese Ex­treme aushalten zu können, spalten wir diese Situationen von uns ab, lagern sie aus der Gesellschaft aus und professionalisieren den Umgang mit etwas, das wir eigentlich durchleben und an unsere Seele heranlassen sollten. Deshalb haben wir auch dieses Schlachthaus ausgesucht, das sehr modern und gut ausgerüstet ist. Ich wollte die Grausamkeit in der gut geölten Funktionalität, den Horror in der Routine zeigen.

„Ohne Bereuen geht es bei uns nicht“ sagt der Chef des Schlachthofes. Wie gehen die Menschen, die dort arbeiten, mit diesem Horror der Routine um?

Enyedi Der Betreiber des Schlachthofes, auf dem wir gedreht haben, war ein wunderbarer, sehr umsichtiger Mann. Er sucht seine Mitarbeiter sehr genau aus und behält sie im Auge, um zu sehen, ob sie dieser Arbeit psychisch gewachsen sind. Wenn man sich in einer Situation befindet, die eigentlich nicht auszuhalten ist, hat die Seele zwei Möglichkeiten zur Flucht: Die eine Möglichkeit ist,  grausam und sadistisch zu werden. Das kann man in Kriegen oder Konzentrationslagern sehen, wo Menschen innerhalb weniger Monate in der Lage sind, die schrecklichsten  Dinge zu tun. Dafür muss der Feind oder der Gefangene enthumanisiert werden. Wenn die Person zum Objekt geworden ist, kann ich mit ihr alles machen.  Die andere Möglichkeit ist echtes Mitgefühl. Es war wirklich erstaunlich zu sehen, wie die Mitarbeiter dieses Schlachthofes von dem Moment an, wenn die Rinder dort ankommen, sich um die Tiere kümmern, sie streicheln, mit ihnen sprechen, sie mit Respekt behandeln.

Im Film finden Endre und Mária zueinander, als sie feststellen, dass sie Nacht für Nacht das Gleiche träumen. Woher kam diese Idee?

Enyedi Mária und Endre haben einen sehr reduzierten Lebensstil, aber sie haben kein wirklich gutes Leben. Ich brauchte einen starken Impuls, um die beiden aus ihrer Routine zu bringen. Die gemeinsamen Träume sind hier nur der Anfangspunkt. Danach müssen sie sich sehr anstrengen, um im echten Leben das wieder zu erschaffen, was sie in ihren Träumen erlebt haben.

Mária und Endre sind beide auf ihre Art verwundete Figuren. Gehen Männer und Frauen unterschiedlich mit seelischen Verwundungen um?

Enyedi Auf jeden Fall. Wegen Traditionen und auch unterschiedlicher Hormone. Männer und Frauen nehmen die Welt unterschiedlich wahr. Das geht nicht gegen die feministische Idee. Denn verschieden und trotzdem gleichberechtigt zu sein, ist wunderbar. Einer der vielen Gründe, warum ich diesen Film gemacht habe, ist, dafür offen zu sein, wie das andere Geschlecht die Welt wahrnimmt. Mir ging es um den Respekt vor der Unterschiedlichkeit von Männern und Frauen. Einander in der gegenseitigen Unterschiedlichkeit zu verstehen und an die guten Absichten des anderen zu glauben, ist eine beglückende Erfahrung.

Das Gespräch führte
Martin Schwickert.

 Ildiko Enyedi, deren Film „Körper und Seele“ den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen hat.

Ildiko Enyedi, deren Film „Körper und Seele“ den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen hat.

Foto: dpa/Soeren Stache

„Körper und Seele“ startet morgen im Filmhaus (Sb). Kritik dazu, auch zu den anderen Neustarts, morgen in unserer Beilage treff.region.

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