Das Wochenende bei der Berlinale „Unsere Gesellschaft ist so dermaßen vergiftet“

Berlin · So war das Wochenende bei der Berlinale: Ein US-Western erwies sich als erster Höhepunkt, und Lars Eidinger weinte bei seiner Pressekonferenz.

 Schauspieler Lars Eidinger bei der Pressekonferenz zum Film „Persian Lessons“.

Schauspieler Lars Eidinger bei der Pressekonferenz zum Film „Persian Lessons“.

Foto: dpa/Michael Kappeler

Mit einem Glanzlicht und einer Enttäuschung hat der Wettbewerb der Berlinale Fahrt aufgenommen: Am Samstagabend ging ein ungewöhnlicher Western ins Rennen. In „First Cow“ erzählt US-Regisseurin Kelly Reichardt von einer Männerkumpanei. Zwei Außenseiter freunden sich im Wilden Westen des frühen 19. Jahrhunderts an. Sie wollen Geld mit Backwaren verdienen – und melken dafür heimlich die einzige Kuh in der Region. Der Western ist filmisch spannend gemacht, witzig und reiht sich ein in andere aktuelle Westernfilme wie „The Sisters Brothers“, in denen auch die Männerrollen ganz neu gezeigt werden. In „First Cow“ träumen die Jungs von Scones und Buttermilchbrötchen.

Für den enttäuschenden „Le sel des larmes“ von Philippe Garrel gab es vom bei der Berlinale sonst sehr Applaus-affinen Premierenpublikum nur eine knappe Dosis Zustimmung. Der Schwarz-Weiß-Film erzählt sehr fahrig die Geschichte eines jungen Mannes in Frankreich, der zwischen mehreren Frauen schwankt. In kaum einer Phase kann die konstruierte Story überzeugen.

Bei einer Pressekonferenz hat der Schauspieler Lars Eidinger sich mit einem emotionalen Statement gegen den Hass in Deutschland gewandt. „Ich finde, unsere Gesellschaft ist so dermaßen vergiftet, was Hass und Missgunst angeht“, sagte Eidinger mit Tränen in den Augen am Samstag in Berlin vor der Berlinale-Präsentation des Films „Persian Lessons“ von Vadim Perelman, der außerhalb des Wettbewerbs läuft. Eidinger erinnerte an einen Text des Schriftstellers Stefan Zweig (1881-1942), in dem es „um die moralische Entgiftung Europas“ nach dem Ersten Weltkrieg gegangen sei. Darin habe Zweig nach einem Medium verlangt, das die Menschen wieder zusammenbringe und sich der Liebe verschreibe.

„Das Internet ist ja genau dieses Medium“, sagte Eidinger, „es wird aber genau für das Gegenteil genutzt.“ Das berühre ihn sehr. Für ihn sei das Anlass, „dagegen zu kämpfen“. „Es ist natürlich umso tragischer, wenn man versucht, ganz platt Liebe in die Welt zu tragen und kriegt dafür Hass als Antwort.“ In „Persian Lessons“ spielt Eidinger einen Nazi-Offizier, der sich von einem als Perser getarnten Juden (Nahuel Pérez Biscayart) in einer frei erfundenen Farsi-Variante unterrichten lässt; der Jude versucht sich so vor dem Holocaust zu retten. Eine Kritikerin nannte den Film nach der Premiere ein „seltsames Nazi-Kasperletheater“, das so wirke, als versuche man, „Schindlers Liste“ mit „Ein Käfig voller Helden“ zu kreuzen.

Anlässlich der Berlinale sind die Autoren des Drehbuchs „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ mit dem mit 10 000 Euro dotierten Drehbuchpreis 2020 ausgezeichnet worden. Jan Braren, Marc Blöbaum und Kilian Riedhof erhielten die „Goldene Lola“ am Freitag von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Der Preis für das beste unverfilmte Drehbuch wird alljährlich beim Empfang des Verbandes Deutscher Drehbuchautoren verliehen. „Meinen Hass bekommt ihr nicht“ nach dem Roman „Vous n’aurez pas ma haine“ von Antoine Leiris, thematisiert den islamistisch motivierten Terroranschlag im November 2015 in Paris auf den Konzertsaal „Le Bataclan“.

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