Interview-Band mit Christian Petzold Die Kindheitswünsche und das Kohlendioxid

Saarbrücken · Ein Interviewband mit dem Regisseur Christian Petzold, dessen Film „Undine“ in Saarbrücken läuft, ist eine Ideen-Wundertüte.

 Regisseur Christian Petzold, ein fruchtbarer Gesprächspartner

Regisseur Christian Petzold, ein fruchtbarer Gesprächspartner

Foto: Marco Krüger/Schramm Film/Berlinale/Marco Krüger

An diesen Rhythmus von Frage und Antwort muss man sich bei der Lektüre erst ein wenig gewöhnen. Denn eine Antwort kann schon mal zwei Seiten lang sein – aber dann doch keine Zeile zu viel. Einen Tag lang saß Regisseur Christian Petzold, dessen jüngster Film „Undine“ gerade in den Kinos läuft, mit Bernd Stiegler und Alexander Zons zusammen, ließ sich von den beiden spürbar gut Vorbereiteten zu seiner Arbeit befragen.

Das Ergebnis ist ein geistreicher, fundierter Interviewband, der gerne genüsslich ausholt, unter die Oberfläche geht und auch manche Überraschungen bietet. Hätte man etwa gedacht, dass Petzold, der feingeistige Regisseur von „Barbara“, „Die innere Sicherheit“ und „Phoenix“, unter anderem Horrorfilme liebt, „echt hartes Zeug“, wie er sagt. Und dabei selbst Überraschendes entdeckt: dass der harte Horrorfilm „Hostel“ etwa – über gefolterte US-Teenager in Prag – „ein ziemlich präziser Film“ sei „über den Untergang der Industriegesellschaft in der postkommunistischen Gesellschaft“.

Bei Petzold hängt alles zusammen, das scheinbar Banale und das Erhabene, die Kunst in all ihren Verflechtungen und Bezügen. Und so geht es in diesem Buch, das sich schnell als pralle Gedanken-Wundertüte entpuppt, um Grundsätzliches wie auch Verschlungenes. Eine typische Passage ist etwa, wenn Petzold von seiner Faszination für den Borussia-Dortmund-Trainer Lucien Favre erzählt: Der war vorher Trainer in Nizza, wo Petzold sich gerade Drehorte für seinen Film „Transit“ anschaut. Die Produktionsfirma besorgt Petzold „ein Super-VIP-Ticket“, neben den „Spielerfrauen einen Meter von Favre weg“. Und diese Erfüllung eines „Kindheitswunsches“ hat für Petzold etwas merkwürdig Enttäuschendes, weil Vergangenes. Er zitiert Jorge Valdano, den Ex-Manager von Real Madrid, der dieses Gefühl kennt: 1986 wurde er Weltmeister mit Argentinien – davon hatte er ein Leben lang geträumt, aber „als ich dann Weltmeister wurde, war es schon Erinnerung geworden“, sagte der später. Für Petzold ein „fantastischer Satz“, der sich auch auf die eigene These beziehe, dass „Kino immer gegenwärtig ist und Literatur immer vergangen“. Literatur ist Erinnerung, Kino Gegenwart.

 Der Interviewband mit Christian Petzold.

Der Interviewband mit Christian Petzold.

Foto: Schüren Verlag

Wenn Petzold von Dreharbeiten in Autos erzählt („ein grauenhafter Ort für Schauspieler“), kommt er vom PKW auf das Autofahren an sich, „das insbesondere in Deutschland unheimlich schwer aus den Wirklichkeiten des Kapitalismus zu entfernen“ sei: „Diese ganze CO2-Diskussion ist schlicht von der deutschen Autoindustrie torpediert worden.“ Zudem erweist sich Petzold als großer Freund der Kinoklassiker, der seinen Schauspielerinnen und Schauspielern gerne Filme zeigt, um sie (und sich selbst) atmosphärisch auf die Dreharbeiten einzustimmen – etwa mit Howard Hawks‘ „Haben und Nichthaben“, „Ausgestoßen“ mit James Mason oder auch mit dem modernen Noir-Krimi „Driver“ von Walter Hill.

Auch um Musik in seinen Filmen geht es, um Van Morrison, Julie London und Burt Bacharach.

 Eine Szene aus dem Film „Undine“ mit Paula Beer, der in der Camera Zwo in Saarbrücken läuft.

Eine Szene aus dem Film „Undine“ mit Paula Beer, der in der Camera Zwo in Saarbrücken läuft.

Foto: dpa/Christian Schulz

Ansonsten erfährt man auch, dass für Petzold die „Filmwissenschaft in Deutschland auf einem unfassbar beschissenen Niveau“ ist, dass es nach dem Projekt „Dreileben“ wieder eine Zusammenarbeit mit Dominik Graf und Christoph Hochhäusler geben wird und dass ihn die immer gleichen Straßenkulissen in Filmen oder Serien, in „Babylon Berlin“ etwa, geradezu „zu Tode langweilen“. Und eine Komödie sollte man demnächst (oder überhaupt) nicht von Petzold erwarten: Er könne nur hinter der Kamera lachen, aber eine Komödie sei „viel Arbeit“ und brauche „ein sehr, sehr gutes Drehbuch“. Alles andere „könnte ich noch hinkriegen, aber keine Komödie“.

Christian Petzold – ein Gespräch. Konstanzer Hefte zur Medienwissenschaft. Herausgegeben von Bernd Stiegler und Alexander Zons. Schüren Verlag, 132 Seiten, 19,90 Euro.
„Undine“ läuft zurzeit in der Camera Zwo in Saarbrücken.

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