Künstler-Porträt Harigs Verse unter blankem Busen

Saarbrücken · Ehrwürdige 93 wird der Saarbrücker Satiriker Roland Stigulinszky bald. Sein Humor ist zum Glück nie gealtert.

Und noch ein Gedicht: Der Autor, Zeichner und Satiriker Roland Stigulinszky in seinem Saarbrücker Haus.

Und noch ein Gedicht: Der Autor, Zeichner und Satiriker Roland Stigulinszky in seinem Saarbrücker Haus.

Foto: Oliver Dietze

Die Brünette, die nichts trägt außer nackter Haut, hängt wohl schon seit Jahrzehnten da. Als man noch nicht mal ahnte, dass mal sowas wie eine MeToo-Debatte die Gemüter erregen könnte. Von dort an, wo es gar zu intim werden könnte, bedeckt sie ein Feigenblatt – ein äußerst kunstvolles. Jemand hat einen Zettel mit Ludwig Harigs „Pythagoras“-Versen über das Freizügigste der Kalenderschönen gepinnt. Der Herr der rechten Winkel und eine Kurvenreiche: Man könnte ewig über solche Fundstücke im Souterrain von Roland Stigulinszkys Haus spintisieren. Wo Lafontaines handgeschriebene Neujahrsgrüße neben einer Karikatur von Peter Müller hängen, der alte Joho, wenn er auf Gerhard Schröder schaut, seine Strichmännchen-Stirn runzelt. Erstaunlich, wen und was die Zeit hier zusammenbrachte.

Lang ist’s her, da brummte hier unten das Atelier des Saarbrücker Grafikers, Werbefachmanns und Vieleskönnerkünstlers. Lebensmittelmärkte orderten bei ihm früher Reklame. Aber auch fürs Firmen-Hochglanzblatt eines Chemiekonzerns aus Ludwigshafen schrieb er Geistreiches. Es lief halt. Der Pool im Haus, Tür an Tür zum Atelier, erzählt noch vom Wohlstand von einst. Als aber in den 80ern und 90ern der Computer auch die Werbebranche eroberte, ließ „Stig“, wie er immer kürzte, das Geschäft ausplätschern. Roland Stigulinszky fand von der Werbung, die er in besten Zeiten zur Kunst machte, wieder zurück zu dem, womit er mal anfing, als er aus Krieg und russischer Gefangenschaft zurückkam: dem satirischen Zeichnen und Schreiben.

Offiziell allerdings ist der fast 93-Jährige (am 29. April hat er Geburtstag) gar nicht im Ruhestand. „Aber wer kommt schon zu einem so alten Werbemann, wenn es so viele gute junge gibt“, sagt er, greift sich in den schlohweißen Bart. So richtig ernst nimmt er sich damit selbst nicht. Doch es brennt eben immer noch, dieses Feuer der Kreativität in ihm. Auch wenn Krankheit und Alter sich leider nun häufiger melden, ihm und seiner Frau Bruni schon mal die Leichtigkeit der Tage nehmen.

„Das Leben besteht aus Ansätzen, Absätzen und endet mit Entsetzen“: Bonmots schüttelt Stigulinszky aber immer noch, wie nebenbei plaudernd, aus dem Ärmel. All dies aber aufzunotieren, weil man sowas doch eigentlich unbedingt festhalten muss, das wird ihm mittlerweile doch zu viel. Jahrelang verdichtete Stigulinszky, was der Tag wieder mal an politisch Verquerem und sonstigen Aufregungen brachte, hielt dann einmal im Jahr Aphorismen-Ernte und machte im Selbstverlag ein Büchlein daraus. Für „Stig“-Freunde stets ein Freudentag, wenn die weißen Bändchen dann endlich gedruckt waren. Wird’s denn nochmal so eine Auslese geben? Er schüttelt das weiße-weise Haupt skeptisch.

So gesehen müsste man sich jetzt eigentlich dringend daran machen, sein Atelier als Ganzes zu konservieren, wie eine Zeitkapsel, in dem sich Jahrzehnte überlagern, sich Privates über das einst Berufliche schiebt. Über den Werbeskizzen die Einladungslisten für die Geburtstage bei den Stigulinszkys hängen. Viele honorige saarländische Namen stehen drauf, doch die Listen werden mit jedem Jahr kürzer und kürzer.

Nebenan hängt eine ganze Reklameseite. Mit der „klugen Hausfrau“ unterhielt Edeka mal seine Kundinnen. Im Heim und am Herd zu glänzen, galt in den 50ern als erstrebenswert. „Stig“ warf für die „kluge Hausfrau“ zu Silvester eine ganze Cartoon-Seite aufs Papier. Hunderte von Figürchen, die sich bei einem Ball hübsch daneben benehmen. Vergilbt hängt das Blatt da einfach achtlos an der Wand. Es muss nicht nur eine unglaubliche Fleißarbeit gewesen sein, Tage gedauert haben, all’ diese Miniaturen zu einem großen Spaß zu vereinen. Ein Schatz, dieses Blatt. „Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wie lange ich dafür brauchte“, sagt „Stig“. Was er aber noch weiß: Dass „Edeka immer gut bezahlte“. Er sah sich eben auch als Gebrauchskünstler, der „nie Probleme hatte mit den Einfällen“. Es sprudelte: Verse, Karikaturen, Cartoons.,

So lagern in den Regalen und Schränken noch unzählige Texte, Zeichnungen, Skizzen und Entwürfe. Über alles führt „Stig“ Buch, hat es in Leitz-Ordnern registriert. Einen Teil seiner Arbeiten hat er vor Jahren bereits ans Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass gegeben. Dessen früherer Leiter, Günter Scholdt, war immer mal wieder bei „Stig“ zu Gast und sichtete. Doch welcher Schatz darüber hinaus noch zu heben wäre, an klugen und gewitzten Gedanken, in Verse und Bilder gebannt, das kann man bloß ahnen und Roland Stigulinszky nur wünschen, dass noch so manche dazukommen mögen. Und, dass er sich auch mit bald ehrwürdigen 93 Jahren seinen so oft wunderbar unehrwürdigen Humor noch lange, lange erhält.

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