Kunst Kunst, die auf die letzte Klärung wartet

Bonn/Bern · In Bonn und Bern werden in einer Doppelausstellung erstmals Werke aus dem Kunstfund Gurlitt präsentiert.

 Max Beckmanns „Zandvoort Strandcafé“ (1934).

Max Beckmanns „Zandvoort Strandcafé“ (1934).

Foto: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH/David Ertl

Vor fünf Jahren wurde Cornelius Gurlitts Sammlung beschlagnahmt – nun sind  Teile daraus erstmals öffentlich zu sehen: im Kunstmuseum Bern und der Bonner Bundeskunsthalle. Welches Ausmaß der Kunstfund damals hatte, wird daran deutlich, dass gerade einmal ein Viertel der gefundenen Arbeiten in den Häusern zu sehen ist. Fast 1600 Werke fand man seinerzeit bei Cornelius Gurlitt; die hatte der Kunsthändler-Sohn nach dem Tod seiner Eltern, Hildebrand und Helene Gurlitt, geerbt und mitunter einzelne Stücke zu Geld gemacht.

Ein Konvolut von mehr als 1200 Arbeiten befand sich noch in seiner Münchner Wohnung, als Zollbeamte die Räume 2012 durchsuchten und die Werke beschlagnahmten. In Gurlitts Salzburger Haus fanden sich weitere Werke, darunter das Cézanne-Gemälde „La Montagne Sainte-Victoire“. Ein zweites Prachtstück aus der Sammlung, Monets „Waterloo Bridge“ entdeckte man ebendort — von Schimmel überzogen. Gurlitt hatte seinen Lebensmittelpunkt wegen einer Herzerkrankung zuletzt nach München verlagert. Die Kunstwerke in Salzburg überließ er von da an offenbar sich selbst. Vor seinem Tod 2014 vermachte der 81-Jährige die Sammlung schließlich dem Kunstmuseum Bern.

Dort sind nun rund 150 Werke zu sehen, deren Besitzverhältnisse geklärt sein sollen, vor allem Arbeiten der Moderne – etwa von Max Liebermann, Otto Dix und der Künstlergruppe „Die Brücke“. Diese hatten die Nazis als „Entartete Kunst“ diffamiert und ab 1937 aus deutschen Museen verbannt. Kunsthändler wie Hildebrand Gurlitt (1895-1956) erwarben sie und verkauften sie weiter. Wobei Gurlitt auch für die eigene Kollektion kaufte.

In Bonn sind gut 250 Werke ausgestellt, die nun unter Raubkunst-Verdacht stehen. Denn Gurlitt hatte auch solche Werke erworben, die von verfolgten jüdischen Sammlern stammten und zu Tiefpreisen auf dem Kunstmarkt landeten. Thomas Coutures „Porträt einer jungen Frau“ hängt in Bonn gleich im ersten Ausstellungsraum – ein stiller Triumph der Forscher. Denn trotz jahrelanger Recherche ist an vielen in der Schau gezeigten Werken vermerkt: „Provenienz in Abklärung“. Weder wissen die Forscher bislang, ob sie unbedenklich sind, noch das Gegenteil. Darum hat man sich bemüht, einen größeren Bogen zu spannen. Die Doppelausstellung Bonn/Bern, die „Bestandsaufnahme Gurlitt“ heißt, möchte in Bonn den NS-Kunstraub und die Folgen in den Mittelpunkt rücken. Werken aus der Sammlung werden etwa Fallbeispiele von jüdischen Sammlern zur Seite gestellt. Vieles haben sie in Bonn zudem zu Werkgruppen zusammengefasst: Der „Expressionismus in Dresden“ ist mit Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff vertreten, Edvard Munch wird Platz eingeräumt, einer Hand voll Marine-Malereien sowie Landschaftsmalereien von Louis Gurlitt, Hildebrands Großvater – Forschungsstatus: unverdächtig.

Zusammengehalten wird das Sammelsurium durch eine Zeitachse, die alle Ausstellungsräume verbindet. Beginnend mit Hildebrand Gurlitts Geburt 1895 wird seine Karriere als Museumsdirektor, Händler und Sammler mit den Geschehnissen vor allem ab 1933 verknüpft. Gurlitt habe im Nationalsozialismus „eine wichtige Wirkungszeit“ gehabt, sagt der Leiter der Bundeskunsthalle, Rein Wolfs. Anfang der 1940er schwang sich Gurlitt gar zum Chefankäufer für Hitlers „Führermuseum“ in Linz auf.

Einen „Nazi-Schatz“, wie der „Focus“ damals titelte, sollte man in Bonn dennoch nicht erwarten. Trotz der zeitweisen Einsetzung einer „Taskforce Schwabinger Kunstfund“ durch die Bundesregierung und den Freistaat Bayern und anschließende Forschungen durch eine Projektgruppe am Zentrum Kulturgutverluste wurden im Gurlitt-Bestand bislang erst sechs Werke als Raubkunst oder höchstwahrscheinliche Raubkunst ermittelt.

Die magere Bilanz ist für den Filmemacher und Buchautor Maurice Philip Remy Indiz dafür, dass sich die deutschen Behörden bei Gurlitt verrannt haben. Schwere Vorwürfe macht Remy den Behörden zudem beim Umgang mit dem offensichtlich überforderten Cornelius Gurlitt. „Rechtswidrig“ sei die Beschlagnahmung der Werke als NS-Raubkunst 2012 gewesen, sagt Remy, der pünktlich zur Ausstellung ein Buch zum „Fall Gurlitt“ auf den Markt brachte.

Aufmerksam geworden waren die Behörden auf Gurlitt erstmals während einer Zollkontrolle im Zug zwischen Zürich und München 2010. Bei Gurlitt waren 9000 Euro in bar gefunden worden – was nicht strafbar ist. Daraus soll sich, so Remy, zunächst der Verdacht ergeben haben, Gurlitt könnte in der Schweiz Bilder verkauft haben. Später habe es geheißen, er habe Bilder aus der Schweiz nach Deutschland eingeführt, ohne dafür Steuern abzuführen. Gurlitt hätte sich so der Steuerhinterziehung schuldig gemacht. Alles spreche dafür, „dass der Tatverdacht konstruiert wurde, um die rechtlichen Grundlagen für eine Durchsuchung der Wohnung in München und des Hauses von Cornelius Gurlitt in Salzburg zu schaffen“, schreibt Remy.

In Bonn dazu: nichts. Man hätte sich ein, zwei erhellende Worte zu den Umständen der Beschlagnahmung gewünscht. Vielleicht wird das einmal ein Fall fürs Deutsche Haus der Geschichte – ein Nachbar der Bundeskunsthalle.

 Thomas Coutures Gemälde „Porträt einer jungen Frau“ (1850–1855).

Thomas Coutures Gemälde „Porträt einer jungen Frau“ (1850–1855).

Foto: Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH/Mick Vinzenz

Öffnungszeiten in der Bundeskunsthalle: Dienstag und Mittwoch, 10 bis 21 Uhr; Donnerstag bis Sonntag und an Feiertagen 10 bis 19 Uhr. Kunstmuseum Bern: Dienstag 10 bis 21 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10 bis 17 Uhr.

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