Merziger Oper im Zelt Ernüchterung im Serail

Merzig · Viel gewagt, doch nur bedingt gewonnen: Die Premiere von Mozarts „Entführung aus dem Serail“ in Merzig am Freitagabend überzeugte bloß musikalisch.

 Zeltpalst Merzig - Entfuehrung aus  dem Serail: Robyn Allegra Parton (Konstanze).

Foto: Rolf Ruppenthal/ 15. Aug. 2018

Zeltpalst Merzig - Entfuehrung aus dem Serail: Robyn Allegra Parton (Konstanze). Foto: Rolf Ruppenthal/ 15. Aug. 2018

Foto: Ruppenthal

Oper ist wie Zehnkampf. Man muss in vielen Disziplinen punkten, will man am Ende Sieger sein. Orchester, Solisten, Bühne, Licht, Kostüme, Regie: All das und mehr muss jeweils schon für sich überzeugen, aber auch zusammenfinden, soll der Abend ein Ereignis werden.

Im Merziger Zeltpalast hat Joachim Arnold hoch gepokert. Wieder mal. Auch im Anspruch. Nicht allein, weil der „Musik & Theater Saar“-Patron nach Jahren der Opernabstinenz, wo er dem gängigeren Musical den Vorzug gab, es wieder mit dem Königsfach des Musiktheaters versucht. Überdies wollte Arnold Mozarts „Entführung aus dem Serail“ ganz neu erzählen. Ohnehin ist das Libretto des Türken-Singspiels, in dem vier junge Spanier aus den Fängen des Bassa Selim zu entkommen suchen, nicht der genialste Streich. Dutzende von Dramaturgen und Regisseuren dichteten schon um, frisierten neu. Doch nicht genug für Arnold: Er hat die Erzählung (jenseits der Arientexte) komplett frisch fassen lassen. Und dafür Bestseller-Autor Feridun Zaimoglu verpflichtet. Zusammen mit Co-Autor Günter Senkel machte sich der in der Türkei geborene Schriftsteller beherzt ans Werk. Das in Kiel Tür an Tür dichtende Duo kürte den Pascha Selim zum Hauptakteur, der diese ganze Chose mal aus seiner Sicht klarstellt. So schaut endlich mal das Morgenland aufs Abendland. Und nicht wie sonst umgekehrt.

Klingt gut, klingt großartig, vor allem so punktgenau in unsere Zeit platziert, wo Migranten-Debatte, Kulturkampf und diffuse Terrorangst die Schlagzeilen diktieren. Im Merziger Sommertheater jedoch wirkt die Aktualität wie weggeschoben. Das fängt schon mit Zaimoglus/Senkels Reform-Libretto an. So facettenreich sie den Regionalfürsten Selim ausstatten, einen Konvertiten, der aus Spanien zu den Osmanen flieht, dort (für ihn) überraschend Anerkennung und Wohlstand findet, so orientalisch wuchernd ist dessen Reden. Man mag Zaimoglus Spracheinfühlung bewundern, seine Fabulierlust. Und wenn Boris Jacoby das mit diesem wunderbaren Bühnensound eines früheren Burg-Schauspielers tönen lässt, möchte man sich glatt wegträumen in Märchen aus tausend und einer Nacht. Jeder Satz ein Juwel.

Leider aber blühen diese Bilder bloß im Kopf. Im Zeltpalast hat Regisseur Andreas Gergen optische Null-Diät verordnet. Weder zeigt er fundamentalistisches Sprenggürtelwüten gegen westliche Wirtschaftsarroganz (auch wenn am Ende dann doch ein Kopf rollt), noch sonst viel Greifbares. Sicher, Oper muss nicht der Aktualität hinterherhecheln, so ernüchternd wie hier muss es aber auch nicht sein. Das Orchester etwa sitzt vollends hinter Gittern. Immerhin unter rosa blühenden Bäumen. Eine Art Paradiesgarten soll das wohl sein, der Serail, der Harem von Bassa Selim, in dem die spanische Edle Konstanze die Perle sein soll. Ein Oase der Schönheit ist das, doch auch ein trügerischer Ort, letztlich bleibt es doch ein Gefängnis, und Selims Zuneigung zu Konstanze, die er auf dem Sklavenmarkt kaufte, entpuppt sich oft als Großmut eines verliebten Kerkermeisters.

Vor dem Gitter tut sich wenig. Mit mattschwarzer Folie ist die Bühne ausgelegt. Mal stehen die Solisten rechts, mal links, mal hocken sie singend brav vorn am Bühnenaufgang: Gergen reiht beinahe ereignisfrei Standardposen. Dabei gilt er sonst als Bank für Regie mit Esprit, mit Ideenfeuer. Hier zündet’s nicht. Stattdessen schaut man auf ein leckendes Metallfass. Und fragt sich: Steht die Bühne irgendwann ganz unter Wasser? Ja, sie tut’s. Und, Allah sei Dank, möchte man fast ausrufen, denn, wenn Pedrillo, so quick wie ihn Edward Lee singt, auch Fontänen sprühend durchs Wasser tobt, frischt die Regie endlich mal auf. Doch darauf muss man lange warten.

Zum Glück punktet die Musik auf ganzer Linie. Exzellente Stimmen haben sie alle, Vollblutschauspieler sind sie überdies. Robyn Allegra Parton geht Konstanzes Koloraturen zwar robust an, doch die lyrischen Passagen singt die britische Sopranistin mit betörender Innigkeit. Für ihren Herzensmann Belmonte hätte es keine besser Wahl als Gyula Rab geben können; ein eleganter Tenor, wendig, mit Höhenglanz und Spiellust. Katharina Borschs Blonde kühlt zwar emotional arg ab, ihr Sopran aber ist von hinreißender Klangschöne. Keiner jedoch macht so viel aus seiner Rolle wie Per Bach Nissen: Der Däne singt den Osmin mal nicht als tumben Gelegenheitssäufer, sondern klug, gewitzt als eigentlichen Herrn des Geschehens mit warmem Bass. Auch das Orchester mit Stefan Bone am Pult kredenzt pures Klang-Vergnügen: mit kernigem Janitscharen-Tschingderassabumm, aber auch luftigem, köstlich blühendem Mozart-Ton. Schließt man die Augen, hört die Musik, ist es ein großer Abend im Zelt. Doch in der Disziplin Regie ging dieser Opern-Zehnkampf dann leider doch verloren.

Vorstellungen: 19., 24., 25., 26. und 31. August; 1., 2., 7., 8. und 9. September.

 Zeltpalast Merzig: Hauptprobe - Entfuehrung aus dem Serail: v.l.  Brois Jacoby (Bassa Selim),  Edard Lee (Pedrillo), Per Bach Nissen (Osmin).

Foto: Rolf Ruppenthal/ 15. Aug. 2018

Zeltpalast Merzig: Hauptprobe - Entfuehrung aus dem Serail: v.l. Brois Jacoby (Bassa Selim), Edard Lee (Pedrillo), Per Bach Nissen (Osmin). Foto: Rolf Ruppenthal/ 15. Aug. 2018

Foto: Ruppenthal
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