Neue Bücher Miese, fiese Herzenswünsche

Saarbrücken · Die amerikanische Autorin Kirsten Roupenian trifft mit ihren unheimlichen Storys den Nerv der Zeit von Online-Dating und MeToo-Debatten.

  Bis vor einem Jahr, als ihre Kurzgeschichte „Cat Person“ in den USA erschien, kannte niemand Kristin Roupenian. Nun ist sie ein Begriff.

Bis vor einem Jahr, als ihre Kurzgeschichte „Cat Person“ in den USA erschien, kannte niemand Kristin Roupenian. Nun ist sie ein Begriff.

Foto: Elisa Roupenian Toha/Blumenbar Verlag/Elisa Roupenian Toha

Bis vor einem Jahr war Kristen Roupenian eine unbekannte 37-Jährige mit 200 Followern und einem Diplom in Afrikanischer Literatur, die sich als Babysitterin und freie Journalistin durchschlug. Dann veröffentlichte sie die Kurzgeschichte „Cat Person“ im „New Yorker“, die im Netz zum viralen Hit wurde und ihr einen Millionenvertrag für ihr erstes Buch bescherte. „Cat Person“ traf offensichtlich den Nerv der MeToo-Zeit: Die 20-jährige Margot, hin- und hergerissen zwischen Scham und Wut, Unsicherheit und Übermut, heiligem Ernst und görenhaftem Kichern, erzählt von einem One-Night-Stand, auf den sie gern verzichtet hätte.

Robert, 34, war eigentlich schon zu alt für sie und ein bisschen zu dick, aber er war „irgendwie nett“, und so landete man nach einem Kinobesuch (Robert wählte einen Holocaustfilm, um Margot zu imponieren) und einigen Drinks im Bett. Schon beim ersten Kuss weiß sie, dass es peinlich und eklig werden wird. Egal, Augen zu und durch: Das lernt man schon als Mädchen.

Und Robert ist ja nicht gemein oder gar gefährlich. Im Gegenteil, er ist rührend verliebt und unbeholfen. Der Sex mit ihm wird dadurch allerdings auch nicht besser. Es bleibt eine öde Pflichtübung, bei der Margot nur noch „Meine Güte, wann ist das endlich vorbei?“ denkt. Dass sie Robert auf einmal als fetten alten Sack empfindet, kann sie ihm natürlich nicht ins Gesicht sagen. Sie will keine zickige Spaßbremse sein, langatmige Erklärungen sind noch schrecklicher als Duldungsstarre, und so knüppelt sie eben „ihre Ablehnung in Unterwerfung nieder“. Am Ende, nachdem eine Freundin den lästigen Stalker endlich per SMS abserviert hat, ist Margot schuldbewusst erleichtert. Robert schimpft unflätig auf die „Schlampe“, die seiner Liebe nicht wert war.

Im Netz wurde „Cat Person“ kontrovers diskutiert. Die meisten Frauen waren angetan: Ja, genau so läuft es doch immer noch, auch in Zeiten von Flirt-Apps, Online-Dating und MeToo: Frauen gehen mit Typen ins Bett, die sie nicht mögen, um sie nicht zu enttäuschen und sich selber peinliche Rechtfertigungen zu ersparen. Unter Männern gab es dagegen viel Verständnis und Solidarität für Robert. War nicht er das Opfer eines umgekehrten Sexismus? Was kann der arme Kerl dafür, wenn diese „Bitch“ ihn erst als eine Art maskulines Katzenvideo betrachtet und dann angewidert und feige fallen lässt?

Wenn Männer über Sex schreiben, verteidigte die Kritikerin des „Guardian“ Roupenian gegen den Vorwurf der Oberflächlichkeit, stehe immer mindestens die Condition humaine auf dem Spiel; bei Frauen, selbst wenn sie Jane Austen hießen, sei es dagegen Mädchenkram oder „emotionale Pornografie“. Roupenian ist keine Jane Austen, aber sie kann sehr sarkastisch und präzise über missglückte Online-Dates, unpassende Tinder-Matches und andere Wisch-und-Weg-Affären schreiben. Robert firmiert in seinem Facebook-Account als Cat Person, Katzenfreund, aber Margot sieht bei ihm nie Katzen. So produzieren die neuen Codes und Medien der digitalen Kommunikation – inszenierte Identitäten, geschönte Instagram-Selfies, Fake-Profile, augenzwinkernde Emojis – Vorstellungen, Wünsche und Ängste, die der unbearbeiteten analogen Realität selten standhalten. Eine Cat Person im Netz kann Mann oder Frau, Bot oder Algorithmus sein; das Getwitter endet oft in Enttäuschungen und Katastrophen. Es ist auch nicht einfach, über Menschen zu schreiben, die auf ihre Smartphones starren und dabei erotische Abenteuer versäumen. Roupenians Figuren schaffen es immer wieder, mit direkten Anreden, Verständnis heischenden Seufzern und unkorrigierten SMS-Botschaften Authentizitätsschauder und Aufmerksamkeit zu erregen: Man liest ihre Geschichten wie heimliche Geständnisse im Tagebuch der besten Freundin.

Im Original heißt Roupenians zeitgleich in den USA erschienener Erzählband „You Know You Want This“: Du weißt, du willst das. Sie selber will in den zwölf Stories offensichtlich das ganze Kontinuum von Liebe und Sex zwischen Männern und Frauen, Müttern und Töchtern, Kindern und Erwachsenen ausmessen und scheut dabei auch vor Gewaltfantasien, Shades-of-Grey-Kitzel und Grusel-Märchen à la Stephen King nicht zurück. Ihre Mutter, heißt es in der Widmung, habe ihr beigebracht, zu lieben, was sie fürchte. So quält etwa in „Böser Junge“ ein Pärchen einen gutmütigen Freund mit perfiden Sexspielchen. In „Look at Your Game, Girl“ setzt der alte Satan Charles Manson einer neugierigen Zwölfjährigen schlimme Flöhe ins Ohr. In „Der Junge am Pool“ läuft ein Junggesellinnenabschied mit einem abgehalfterten Softporno-Filmstar schrecklich aus dem Ruder, in „Sardinen“ eskaliert ein Kindergeburtstagsspiel, und in „Matchbox Sign“ wird eine schöne junge Frau von imaginären oder vielleicht auch realen Parasiten befallen.

Die Infektion mit dem Bösen ist jedenfalls nicht bloß Männersache. In „Todeswunsch“ überfällt eine Tinder-Bekanntschaft in einem Motel einen Mann mit dem Wunsch, er müsse sie schlagen und treten, wenn er guten Sex mit ihr haben wolle und sie als Frau ernst nehme. Ist es eine Falle? Radikalfeminismus, SM-Fantasie oder provozierter Suizid? Die Frau mit dem mysteriösen Rollkoffer erklärt nichts, für den Mann wird die Nacht zum schmerzhaften Läuterungs- und Erweckungserlebnis. In „Beißerin“ wird eine Angestellte zur Heldin der Frauen, als sie dem sexuell übergriffigen Personalchef ins Gesicht beißt. Aber es war nicht Notwehr oder Rache. Ellie hat schon als Kind mit ihren Beißattacken Angst und Schrecken verbreitet und darf ihre wölfische Lust jetzt endlich quasilegal ausleben.  In „Vernarbt“ findet eine Frau das alte Kinderzauberbuch „Herzenswünsche“ und erprobt ihre neu entdeckten magischen Kräfte an einem nackten Sklaven im Keller.

So erkundet Roupenian mit diabolischem Behagen Abgründe jenseits von Gesetz, Moral und politischer Korrektheit, ohne deren Geheimnisse je ganz aufzulösen. „Nachtläufer“ erzählt von Voodoo-Ritualen in Kenia (wo Roupenian drei Jahre lang für das Peace Corps im Busch arbeitete), die unser aufgeklärtes Weltbild überfordern und untergraben. Fremder und befremdlicher als alle Dämonen Afrikas aber ist der Alltagshorror, den fiese kleine College-Biester und besorgte Helikoptermütter mit ihren heimlichen Ängsten und unheimlichen Herzenswünschen verbreiten.

Kristen Roupenian: Cat Person. Storys. Aus dem Amerikanischen von Nella Beljan und Friederike Schilbach, Blumenbar, 284 S., 20 €.

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