Keine Wahl mehr zwischen Schirm und Scheibe

Früher war vermeintlich alles besser. Oder doch nicht? Beim Rückblick auf die 70er, 80er und 90er Jahre werden SZ-Redakteure „nostalgisch“. Heute geht es um den guten alten Fernsprechapparat.

 Ein Gruß aus der Vergangenheit in sattem Orange. Foto: Daniel Karmann/dpa

Ein Gruß aus der Vergangenheit in sattem Orange. Foto: Daniel Karmann/dpa

Foto: Daniel Karmann/dpa

In der Esszimmerecke meiner Großmutter gab es ein begehrtes Plätzchen: den Telefonsessel. Der stand direkt neben einem Tischchen in Eiche rustikal, auf dem bis weit in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein mausgraues Fernsprechgerät mit träger Wählscheibe auf einem weißen Spitzendeckchen der wenigen Anrufe am Tag harrte, die man damals vor allem aus Kostengründen auf ein Minimum zu beschränken suchte. "Du, ich muss jetzt Schluss machen. Es wird zu teuer!" - Mit diesem Spruch ließen sich Tante Erna oder Onkel Otto hervorragend abwürgen. Damals kostete ein "Ortsgespräch" immerhin 20 Pfennig (rund zehn Cent). Und wehe, man hatte sich verwählt! Das kostete nicht nur 20 Pfennig extra, sondern auch Nerven, denn dann ging die Wählerei von vorne los: Finger in die Lochscheibe, ganz bis hinten hin drehen (nicht nur halb!), loslassen, warten, Finger in die Lochscheibe, nächste Zahl…

Mit Omas Wählscheiben-Telefon im warmen Stübchen war man noch relativ gut bedient - denn bei vielen Familien stand das gute Stück - man hatte damals in der Regel nur eins davon - gerne im zugigen Flur. In diesen wurde man als Teenager mit einem genervten "Schon wieder Telefon für dich!" gerufen. Man stand dann durch das Kabel am Hörer wie angekettet neben dem Fernsprechapparat, der in den 80ern wahlweise in Jäger-Grün oder Müllabfuhr-Orange zu haben war und dann auch schon Tasten hatte, und versuchte - meist vergeblich - im Flüsterton so etwas wie Privatsphäre zu wahren.

Der Hausflur wurde zum unangenehm öffentlichen Raum, oft und gerne patrouilliert von neugierigen Mitbewohnern.

Heute dagegen ist ja alles mobil. Und so sind auch die signalgelben Telefonzellen aus dem Stadtbild verschwunden. Darin stank es meist fürchterlich nach Nikotin, und man blieb überall an alten Kaugummis kleben - aber man hatte weitestgehend seine Ruhe und belästigte seine Mitmenschen nicht. Heute quatschen alle überall - und knipsen schnell noch ein Bild. Man hat einen Schirm statt einer Scheibe. Und meistens keine Wahl...

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