Alfred Gulden zum 75. Geburtstag Man muss auch Nestbeschmutzer sein

Wallerfangen · Auch mit 75 Jahren bewahrt sich der saarländische Schriftsteller Alfred Gulden seine künstlerische Rastlosigkeit.

 „ Es ist immer was los“, sagt Alfred Gulden, der heute 75 wird, und meint sein Leben. Morgens schreibt er drei Stunden, nachmittags liest er und spaziert, wenn er nicht an seinem Müncher Zweitwohnsitz ist, gerne durch Saarlouis .

„ Es ist immer was los“, sagt Alfred Gulden, der heute 75 wird, und meint sein Leben. Morgens schreibt er drei Stunden, nachmittags liest er und spaziert, wenn er nicht an seinem Müncher Zweitwohnsitz ist, gerne durch Saarlouis .

Foto: Balge, Cindy

Leben und Werk brechen auf Alfred Guldens Internetseite 2008 ab. Er pflegt sie nicht mehr. Weil er, wie er sagt, nicht hinterher kommt vor lauter Projekten, die ihn umtreiben. Heute wird Gulden 75 – kaum zu glauben, so rastlos, wie er immer noch ist. Gefragt nach seinem typischen Tagesablauf in Salmshaus in Wallerfangen (oder seiner seit über 40 Jahren gehaltenen Münchner Zweitwohnung), holt Gulden aus. Morgens schreibe er immer drei Stunden lang, um endlich niederzukommen mit seinem Saarlouis-Roman, der aber mehr als nur das sein soll. Gulden ringt schon seit Jahren mit dem Stoff. 120 Seiten sind inzwischen fertig. Der Morgen gehört dem Roman, wobei der nächste schon in der Warteschleife ist. „Das wird dann der fünfte und letzte – ein Roman über die wilden Zeiten damals in München“ (mit Gulden, der damals dort Aktionstheater machte, mittendrin). Nach dem Mittagessen lege er sich inzwischen eine halbe Stunde aufs Ohr. Danach geht’s weiter mit lesen (zuletzt E.T.A. Hoffmanns „Nachtstücke“, Gedichte von Paul Verlaine, zwei Bände über die Fluxus-Bewegung und Nietzsche, „immer wieder Nietzsche“), Stadtspaziergängen, Leute treffen. „Ich ergehe die Stadt immer noch.“  Saarlouis – die Stadt, deren Stadtschreiber er im Grunde seit 40 Jahren schon ist. Abends – zurück im Wallerfanger Refugium, dem am alten Saararm gelegenen Salmshaus –  schaue er gerne auch mal Sportübertragungen („Gibt’s Skispringen oder Skifliegen, gucke ich alles.“), während es ihn in München mit Karin, seiner Frau, Fahrerin und Fahrplanmacherin der Termine, oft ins Kino zieht. „Es ist also immer was los“, sagt Gulden und meint sein Leben.

Seit mehr als einem halben Jahrhundert steht es ganz im Zeichen der Kunst. Fast genauso lange setzt Gulden sich literarisch (und bis 2003 auch filmisch in zahllosen Features, Porträts und audiovisuellen Essays) mit seiner Heimat auseinander – beginnend mit seinen ersten, Anfang der 70er erschienenen Mundartgedichten bis hin zu seinem 2016 uraufgeführten, die Geschichte Saarlouis’, seiner Heimatstadt, aufarbeitendem Stück „Silberherz“. Kein zweiter saarländischer Künstler hat derart konsequent immer beide Seiten des saarländischen Medaillenschatzes in Blick genommen – selbst Ludwig Harig hielt sich, getreu seiner Harmonie der nicht ausgetragenen Widersprüche, mehr an den Schauseiten auf. In dem 150-seitigen, ergiebigen Interview, das Günter Scholdt für den 2004 von ihm herausgegebenen Band „Zwischen Welt und Winkel. Alfred Guldens Werk- und Lesebuch“ vor 15 Jahren mit ihm geführt hat, kommt Gulden auf diese Funken schlagende Grundambivalenz zu sprechen: „Diese Enge ist natürlich für mich eine Angriffsfläche gewesen, die ich auch kräftig beschossen habe. Aber ich habe auch gezeigt, wie warm ein Nest sein kann, wie notwendig es sein kann, Rückhalt zu haben oder einen Zufluchtspunkt. Insofern gibt’s bei mir nie nur die eine Seite – das wäre für mich verlogen.“

Das Mehrdeutige, Widersprüchliche, ja Zerrissene im Leben – diese wohl bis ans Ende unserer Tage köchelnde Ursuppe aller Kunst nährte auch Gulden. Und formte das, was er noch heute gern sein „inneres Rückgrat“ nennt: das Zuhausesein im Grenzwertigen. Sprich der doppelte, natürlich gebrochene Blick im Zeichen von Nähe und Distanz. Über die Jahre hat Gulden so ein umfängliches, sich auf dieser stets kontrapunktisch eingestellten Klaviatur allerdings auch mitunter wiederholendes Werk vorgelegt. Es umfasst Aberhunderte Gedichte und Lieder (viele davon im Rodener Dialekt und zum Teil auf CD erschienen), mehrere Thea­terstücke (darunter sein 2005 in der Alten Feuerwache uraufgeführtes, verunglücktes Saarlanddrama „Dieses.Kleine.Land“), drei Romane („Greyhound“ von 1982; „Die Leidinger Hochzeit“ von 1984 und „Ohnehaus“ von 1991) sowie eine ganze Reihe von für den SR (und auch den BR) entstandene TV-Porträts, Reisefilme und Features (darunter alleine von 1997 bis 2002 insgesamt 50 „Saarländische Momente“-Folgen). Hinzu kommen noch Projekte, die aus Guldens künstlerischen Kooperationen erwuchsen – seinen literarischen Brückenschläge zu anderen Künsten. Seit 23 Jahren tritt er regelmäßig mit dem saarländischen Jazz-Posaunisten Christof Thewes auf und koppelt & überlagert dabei Rezitation, Performance und Free Jazz. Daneben hat Gulden seit 2010 mit der bildenden Künstlerin Bettina van Haaren drei Künstlerbücher herausgegeben, in denen beide (er in Gedichten, sie in Zeichnungen) jeweils um ein Oberthema kreisen.

„Beides geht immer weiter“, sagt Gulden. Mit Thewes wie auch mit van Haaren hat er schon die nächsten Projekte im Visier. Brut- und Nistplätze gibt es genug in Guldens Kopf (und seinen als Meterware in den Wallerfanger Regalen und Kisten aufgereihten und gestapelten Materialbüchern, in denen der ehemalige Konviktzögling seit Jahrzehnten Einfälle, Erlebnisse und Exkurse notiert. „Wer im Winkel nichts erlebt, nichts sieht, wird auch in der Welt nichts sehen“, lautet ein Credo Guldens, das er in eigener Sache immer gerne zitiert. Wenn er in seiner Literatur (wie auch in seinen, während der „goldenen Zeit“ des Fernsehens in den 80ern und 90ern entstandenen, seinen Lebensunterhalt maßgeblich sichernden Filmen) Alltägliches und Fiktionales amalgamierte und dann wieder dekonstruktivistisch aufbrach, dann schlug dabei genau dieses Welt-und-Winkel-Motiv immer wieder durch und gab den Takt vor. „Man muss so lügen, dass die Wahrheit dabei herauskommt“, hat Gulden seine Kunstauffassung einmal umrissen.

Was sich seiner Literatur ganz sicher nicht absprechen lässt, ist eine hohe Musikalität. Kein Satz Guldens geht in Druck, dessen Rhythmus und Klang er nicht zuvor laut deklamierend erprobt und für gut befunden hat. Gulden wäre nicht Gulden, insistierte er dabei nicht auf einem Mit- und In- und Gegeneinander von Zeit- und Bewusstseins- und Satz­ebenen. Dass er in den 70er Jahren, nach mehreren ausgedehnten Amerika-Reisen (deren Essenz dann sein Romandebüt „Greyhound“ war) und seinen experimentellen Jahren als Schauspieler und Regisseur im von ihm mitbegründeten Münchner „Aktionsraum 1“, heimkehrte nach Saarlouis, hat dem Saarland einen literarischen Spiegelbildner beschert. Dass er im Auftrag der Landesregierung vor zwölf Jahren die bis dato 26 Kunstpreisträger des Saarlandes (er selbstredend seit 1994 einer von ihnen) in einem kiloschweren Prachtband porträtierte, passt gut dazu. Er habe, sagt Alfred Gulden, diese wichtigste Auszeichnung des Landes immer auch als Auftrag begriffen, Land und Leute literarisch zu fassen, auf unbequeme Weise auch Verdrängtes ans Licht zu ziehen und Widerhaken zu setzen. Kein geringes Verdienst.

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