Neues Album von Erasure: „The Neon“ Das Herz auf der Zunge

Saarbrücken · Platz 11 in Deutschland, Nummer 4 in der britischen Heimat – kein schlechter Einstieg für das mittlerweile 18. Studio-Album eines Duos, das seit 35 Jahren zusammen arbeitet.

 Vince Clarke (l.) und Andy Bell - 1985 erschien ihre erste Single. Damals war Margaret Thatcher noch Premierministerin, Helmut Kohl Bundeskanzler.

Vince Clarke (l.) und Andy Bell - 1985 erschien ihre erste Single. Damals war Margaret Thatcher noch Premierministerin, Helmut Kohl Bundeskanzler.

Foto: Phil Sharp

Als Erasure 1985 ihre erste Single „Who needs love like that“ veröffentlichten, war noch Margaret Thatcher Premierministerin, Helmut Kohl Bundeskanzler. So lange schon basteln Vince Clarke, der Mann an Rechner und Keyboards, und Sänger Andy Bell an ihrem bunten Elektropop. Der galt bei Kritik generell nie als so cool wie jener der Kollegen von Depeche Mode (in deren erster Inkarnation Clarke der Komponist war) oder auch der Pop der Pet Shop Boys, die immer ein bisschen doppelbödiger und ironischer wirken als die Kollegen. Erasure waren und sind da eindeutiger – Sänger Andy Bell trägt, wenn er die Stimme in hymnische Höhen schraubt, sozusagen das Herz auf der Zunge.

„The Neon“ heißt das neue Werk und ist weder ein schlechtes Album noch ein Triumph, einfach eine gelungene Songkollektion einer verlässlichen Band. Neben der kompakten Länge (37 Minuten) fällt auf, dass der Sound oft in die Vergangenheit der Band weist. Clarke hat einige seiner alten Synthesizer noch einmal abgestaubt und angeschaltet, ein dezentes 80er-Aroma weht durch einige der Stücke, ohne nostalgisch zu wirken oder eben wie alte, bisher nicht veröffentlichte Songs. Nach dem Vorgänger-Album „World Beyond“, einer Zusammenarbeit mit dem belgischen Klassik-Ensemble Echo Collective (am 11. September übrigens beim Hemmersdorf Pop Festival zu Gast), ist „The Neon“ ein Ausflug in die Disko, wohl beflackert vom titelgebenden Neonlicht. Der Auftakt „Hey Now (think I got a feeling“ ist da programmatisch: blubbernde Synthies, ein bisschen wie bei Giorgio Moroders Tanzboden-Klassiker „I feel love“ mit Donna Summer, dazu eine typisch Clarkesche Melodie, die man zur Not mit zwei Fingern spielen kann - und eben Andy Bell, der mal exaltiert und hymnisch optimistisch klingt, mal waidwund und liebeskrank. Eine Text-Banalität wie „Baby, you’re the one I need“ singt er im treibenden „No point in tripping“ mit Falsett so dramatisch überzeugend, dass man glaubt, diese Zeile zum ersten Mal zu hören. Das muss man erstmal können.

Kein schlechtes Album, kein Triumph.
Foto: Mute/Pias

Befremdend dagegen ist manchmal das überraschende Abkippen ins Schlagerhafte: „Nerves of Steel“ und „Fallen Angel“ blubbern radioüberfreundlich und seicht vor sich hin – da hat die bandinterne Qualitätskontrolle nicht funktioniert. Viel gelungener sind da die Ballade „Tower of Love“ mit einem nahezu kirchlichen Ernst und „Shot a satellite“ mit einem knochentrockenen, fast brutalen Grundrhythmus. „Diamond Lies“ hätte ein Höhepunkt von „The Neon“ sein können; das Stück erfreut mit einer orientalisch verschlungenen Melodie, die im Refrain dann doch leider wieder zu konventionell wird, um wirklich zu überraschen oder zu packen. Symptomatisch für ein Album, das zwar grundsolide ist, aber eben nicht mehr – aber auch nicht weniger. Vielleicht wirkt das Ganze noch einmal anders, wenn Keyboard-Stoiker Clarke und Bell, der Entertainer mit Rampensau-Qualitäten, das Material auf die Bühne bringen. Für den Oktober 2021 sind in Deutschland jedenfalls schon einige große Hallen gebucht.

Erasure: The Neon (Mute/Pias).
www.erasureinfo.com

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