Ansichten vom Tod in der Saarbrücker Stadtgalerie „Kapiert ihr nicht? Ich werde sterben!“

Saarbrücken · Die Saarbrücker Stadtgalerie hinterfragt in einer großen Themenschau mit künstlerischen Höhen und Tiefen unser Bild und Verständnis vom Tod.

 Eines der in Saarbrücken gezeigten Doppelporträts des Fotografen Walter Schels: Es zeigt den 62-jährigen Jens P. 14 Tage vor seinem Tod und nach seinem Ableben am 15.12. 2003. Nach dem Tod scheint alle Anspannung von ihm gewichen. Nur der Erschlaffung der Gesichtsmuskeln wegen?

Eines der in Saarbrücken gezeigten Doppelporträts des Fotografen Walter Schels: Es zeigt den 62-jährigen Jens P. 14 Tage vor seinem Tod und nach seinem Ableben am 15.12. 2003. Nach dem Tod scheint alle Anspannung von ihm gewichen. Nur der Erschlaffung der Gesichtsmuskeln wegen?

Foto: Walter Schels/Stadtgalerie/cis/Walter Schels

Der französische Philosoph E.C. Cioran schrieb in seiner „Lehre vom Zerfall“, dass der „Verfall einer Kultur“ in dem Augenblick beginne, „da das Leben zu einer Wahn­idee wird“. Auch insoweit leben wir heute in dekadenten Zeiten: Das Leben wird absolut gesetzt, Jugendlichkeit idealisiert, Altern wird verpönt und der Tod normalerweise aus unserem Bewusstsein verbannt. Weil die Ungewissheit quält, was uns danach erwartet. Das Nichts? Ein Jenseits? Die Trennung von Körper und Identität? Den Tod erfahren Lebende nur als Negation, hat der Kulturwissenschaftler Thomas Macho in seinem bis heute wegweisenden Buch „Todesmetaphern“(1987) das Problem allen Redens vom Tod benannt: „Abgesehen von zweifelhaften Projektionen erfahren wir nur den Abbruch, die Verweigerung, die Unmöglichkeit einer Fortsetzung des Kontaktes über den Todesmoment hinaus – wir erfahren eine Negation.“

Die Saarbrücker Stadtgalerie widmet sich diesem existenziellsten aller Lebensthemen nun in einer ebenso berührenden wie irritierenden, von Galerieleiterin Andrea Jahn kuratierten Ausstellung. Würde die Alltäglichkeit des Todes in westlichen Kulturen (anders als etwa in Asien oder Südamerika) heute nicht gesellschaftlich weitgehend ausgespart (dafür aber in Krimis umso begieriger zur Schau gestellt), haftete den gezeigten Fotografien, Installationen und Videoarbeiten vermutlich nicht instinktiv ein Ruch von Tabubruch an, mit dem leicht ein künstlerischer Voyeurismus assoziiert wird. Um es vorwegzunehmen: Ihn bedient diese Ausstellung nicht.

Grundsätzliche Fragen stellen sich dennoch – nicht zuletzt die, inwieweit  Kunst Türen aufstoßen kann in den Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Ja und Nein. Wirken doch einige der elf gezeigten künstlerischen Positionen eher so, als missbrauchten sie Sterben und Tod  als Aufmerksamkeitskatalysator zur Steigerung der eigenen künstlerischen Reputation. Die Mexikanerin Teresa Margolles – die international wohl bekannteste zeitgenössische Künstlerin, deren Werk konsequent um den Tod kreist – zeigt in ihrem Video „Baño“ in Lebensgröße einen an eine Wand projizierten Nackten, dem aus einem Blecheimer Leichenwaschwasser ins Gesicht gekippt wird. Verkehrt sich das Ritual der Reinigung hier ins Gegenteil? Margolles’ Arbeit lebt gänzlich von der (von uns zu schluckenden) Behauptung, dass ihr männliches Kunstopfer tatsächlich mit Brauchwasser einer Totenwaschung überschüttet wird. Gibt uns das auch einen Erkenntnisgewinn? Auch eine zweite, ungleich selbstgefälligere Videoarbeit bleibt in Vordergründigkeiten stecken: Die Thailänderin Araya Rasdjarmrearnsook simuliert mit fünf vor ihr aufgebahrten Toten eine Unterrichtsstunde in den letzten Dingen, liest ihnen aus dem Oxford Dictionary Todesdefinition vor, um dann auf Antworten der Leichen zu warten („what did you say?“).

Gerät hier der Tabubruch zum Selbstzweck, so fehlt es auf der anderen Seite nicht an bezwingenden Auseinandersetzungen mit dem, was die auf beide Galeriegeschosse verteilte Ausstellung sinnigerweise in ihrem Titel „Das letzte Bild“ nennt. Allen voran Walter Schels’ ergreifende, großformatige Doppelporträts von Hospizpatienten, zu denen seine Frau Beate Lakotta unter die Haut gehende, brillante Texte verfasst hat, entfalten bei aller Erbarmungslosigkeit eine Tröstlichkeit, als wollten sie Sokrates’ Wort bezeugen: „Ängstigt euch nicht vor dem Tod, denn seine Bitterkeit liegt in der Frucht vor ihm.“ Die Aufnahmen zeigen, jeweils kurz vor und nach ihrem Ableben, Todgeweihte, die Schels und Lakotta 2004 über Wochen hinweg begleiteten. Einen von ihnen, den seine Freunde im Hospiz immer nur aufmuntern und ablenken wollten, zitiert Lakottas Text mit den Worten: „Hey, kapiert ihr nicht? Ich werde sterben! Das ist mein einziges Thema in jeder Minute, in der ich alleine bin.“

Schels’ Hospizprojekt hat der junge Künstler Daniel Schumann in einer nicht minder bewegenden fotografischen Dokumentation aufgegriffen. Anders als die, ebenfalls in Saarbrücken zu sehenden, 1992 in einem New Yorker Leichenschau entstandenden, im Sujet mitunter an italienische Renaissancemalerei erinnernden Großformate von An­dres Serrano ist Schumanns Fotokunst nicht nur ungleich subtiler. Ihr ist auch, weil Schumann als Zivi in dem Hospiz arbeitete, eine intensive Begegnung mit den Porträtierten vorausgegangen. Ein entscheidender Unterschied: Während Serrano anonymisierte Tote (offenbar ohne Einwilligung der Angehörigen) ausschnitthaft als sterbliche Hüllen heranzoomt, geben Schumanns Fotografien dem Tod seine Natürlichkeit zurück: Er zeigt Menschen, deren Blicke bereits etwas Entrücktes ausstrahlen, in ihrem Warten auf den Tod.

Die Qualität von Jahns Ausstellung gründet nicht zuletzt in der Vielfalt der darin entfalteten Facetten. Drei Beispiele: In der Homburger Anatomie angefertigte, ebenso filigrane wie diskrete Zeichnungen des Saarbrücker Kunsthochschulabsolventen Matthias Aant’Heck bewahren die Leiber zweier toter Organspender (nebst zwei Sektionsstudien) und erinnern zugleich daran, dass Anatomiezeichnungen lange Zeit zum Rüstzeug jeder Künstlerausbildung gehörten. Vor einem gleißend-weißen Hintergrund  (in Japan die Farbe des Todes) zeigen Aufnahmen Manabu Yamanakas missgebildete, nicht lebensfähige Föten. Nein, diese Fotos taugen zu keinem Skandalon; sie berühren tief, ja erinnern eher an Pièta-Darstellungen. Zuletzt illustriert eine 25-minütige Videoinstallation von Ben Goossens, dass die ungegenständlichste Vergegenwärtigung des Todes den längsten Nachhall haben kann: Goossens „Lucid Liquid“ simuliert eine Art Verlies (an das Innere eines Schachts oder Brennofens erinnernd), in das mal Rauch, mal Wasser eingelassen wird. Auch wenn man bald merkt, dass diese Todeskammer im Modellmaßstab aus vier Bildebenen montiert ist, werden damit klaustrophobische Ur-Ängste wachgerufen. Ein Em­pfindungsraum, in dem man als Lebender das Totsein antizipiert.

 Detail einer Installation von Simon Schubert, der einen mit weißem Papier bespannten Raum gebaut hat, in dem unter einem Baldachin aus Haaren die Silhouette einer Frau zu sehen ist.

Detail einer Installation von Simon Schubert, der einen mit weißem Papier bespannten Raum gebaut hat, in dem unter einem Baldachin aus Haaren die Silhouette einer Frau zu sehen ist.

Foto: Christoph Schreiner/Stadtgalerie/Christoph Schreiner

Bis 29. April. Di-Fr: 12-18 Uhr, Sa-So: 11-18 Uhr. Ein umfangreiches Rahmenprogramm begleitet die Ausstellung (Alle Infos unter: www.stadtgalerie.de)

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